"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Freitag, 13. September 2013

FOTOSACHE NR. 20: Ungebührliches Verhalten vor der Kamera



© Archiv Susanne Breuss


Das Verhalten vor der Kamera war immer bestimmten historisch sich ändernden Regeln und Normen unterworfen. Die Amateurfotografie war lange durch das Streben nach einer „schönen Ähnlichkeit“ mit sich selbst geprägt. Technisch perfekt konnten und wollten diese Bilder nicht sein, doch das eigene Ansehen sollten sie nicht beschädigen. Für die bildliche Überlieferung der eigenen Person setzte man sich möglichst vorteilhaft in Szene. Anleitungen dazu lieferten nicht nur Foto-, sondern auch Benimm- und Schönheitsratgeber. „Wie benehme ich mich vor der Kamera“ – eine Frage, die vor allem in jenen Zeiten, in denen das Fotografieren noch teuer war, nicht zuletzt deshalb Relevanz hatte, weil man Ausschuss in Form unvorteilhafter Bilder schon aus finanziellen Gründen möglichst zu vermeiden trachtete.

Ein in den 1960er Jahren erschienenes Damen-Brevier widmete sich diesem Thema speziell im Hinblick auf das weibliche Verhalten vor der Kamera. Hier konnte die Leserin zum Beispiel erfahren, dass es günstiger ist, wenn die Kamera sie von unten erfasst, da eine Aufnahme von oben immer eine Verkürzung zur Folge hat. Es wurde empfohlen, am besten gerade zu stehen, die Zehen etwas nach außen gedreht, ein Bein vorgestellt und den Körper etwas seitwärts gewendet, sodass die Kamera eine Dreiviertelansicht erwischt. Nicht platt wie ein „Spiegelei in der Pfanne“ daliegen, lautete die Anweisung für Aufnahmen am Strand oder an Deck eines Bootes. In so einer Situation sei es kleidsam, sich etwas aufzurichten und Ellbogen und Hüfte aufzustützen. Für jene, die nicht wissen, was sie mit ihren Händen anfangen sollen, gab es den Rat, sie lieber auf dem Rücken zu halten, anstatt leicht gekreuzt auf dem Schoß, einer etwas steif wirkenden Manier. Schließlich ging es auch noch um den strengen retrospektiven Blick: „Ein Familienalbum ist eine sehr schöne Einrichtung, es kann manchmal aber auch eine Quelle von Verlegenheit sein. Lassen Sie sich von mir raten, es etwa alle zehn Jahre zu überprüfen.“

Was wir auf der hier abgebildeten Fotografie aus den 1930er Jahren sehen, entspricht derartigen Ratschlägen für vorteilhafte Fotografierposen ganz und gar nicht. Die „lange Nase“ kann allerdings als eine Reaktion auf eben solche Regeln interpretiert werden. Nicht jeder will diese brav befolgen und macht daher just das Gegenteil. Und, was möglicherweise noch ausschlaggebender ist, sie überspielt die Befangenheit und Peinlichkeit, die sich im Moment der Aufnahme häufig einstellt. Faxen dieser Art vermögen eine Situation, die viele als verkrampft, ja sogar als bedrohlich empfinden, aufzulockern. Zum Lachen ist das allemal – am wenigsten vermutlich für die bemühten Fotografen, die sich durch solch unziemliches Verhalten gerne in ihrer Fotografenehre verletzt fühlen.


Dieser Text erschien in einer etwas gekürzten Variante erstmals als:
 

Susanne Breuss: Die vorteilhafte Pose (= Fotoglosse schwarz & weiß). In: Wiener Zeitung Extra, 6.9.2008. S. 2.

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