"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Mittwoch, 27. April 2016

TERMINSACHE NR. 110: Stadtspaziergänge mit Martin Frey und Philipp Graf (Jane's Walk Vienna 2016)



Anlässlich des Jane’s Walk Vienna 2016 bieten Martin Frey und Philipp Graf zwei Stadtspaziergänge an:

Der erste Walk führt zu elf Traditionsunternehmen im 7. Bezirk, rund um die Neubaugasse:

Geschäfte mit Geschichte in Wien
Freitag, 6. Mai 2016, 15 Uhr (Dauer: ca. 2 Stunden)
Treffpunkt: Bonbons Neubaugasse: 1070 Wien, Neubaugasse 18
Alle Infos dazu: 

Der zweite Walk ist eine fotografische Erkundung Wiens, die in dieser Form 
bereits letztes Jahr zum Jane’s Walk durchgeführt wurde:

Wien unerwartet – Eine fotografische Erkundung
Samstag, 7. Mai 2016, 11 Uhr (Dauer: ca. 2,5 Stunden)
Treffpunkt: Ringturm: 1010 Wien, Schottenring 30
Alle Infos dazu:

Donnerstag, 14. April 2016

ANSICHTSSACHE NR. 88: Interview mit Birgit Johler zur Ausstellung "Freud's Dining Room" im Volkskundemuseum Wien



Truhe, datiert 1850, Freud Museum London
Foto: Alex Kubik, © ÖMV


 

Im Volkskundemuseum Wien ist noch bis 3. Juli 2016 die Ausstellung "Freud's Dining Room. Möbel bewegen Erinnerung" zu sehen. Nähere Infos hier.
Ich habe Birgit Johler, der Kuratorin der Ausstellung, einige Fragen zu diesem ungewöhnlichen Projekt gestellt - hier sind ihre Antworten, für die ich mich sehr herzlich bedanke:


Wie ist die Idee zu dieser Ausstellung entstanden?

Recht spontan – bei einem Besuch des Londoner Freud Museums und beim Gewahrwerden der bunten und ländlich-alpinen Möbel in Freud’s Dining Room.

Warum sind Freud's Möbel interessant, was können sie vermitteln?

Ihre „Objektbiografien“ erzählen von einer veränderten Beziehung Anna Freuds zu den Möbeln. Diese veränderte Beziehung hat mit der Erfahrung der Ausgrenzung, der Vertreibung, auch des Verlusts im Kontext des Nationalsozialismus zu tun.

Welche Rolle spielten "Bauernmöbel" für die Familie Freud?

Anna Freud und ihre Lebens- und Arbeitspartnerin Dorothy Burlingham kauften und nutzten „Bauernmöbel“ für ihr Anwesen am Rand von Wien. Das Anwesen in Hochrotherd war für sie zuerst Wochenendhaus und zusehends auch „Week-Middle-Haus“, wie sie es selbst nannten.

Warum war es ihnen wichtig, gerade diese Möbel mit in die Emigration zu nehmen?

Die Möbel standen in dem von beiden Frauen so geliebten Anwesen in Hochrotherd. Das Anwesen mussten sie 1938, nach dem „Anschluss“ zwangsweise verkaufen, es wurde „arisiert“. Die Möbel jedoch konnten eingepackt werden – Dorothy Burlingham berichtete einer Freundin darüber: „I packed with my things that furniture from Hochrotherd thinking it would be nice for Anna and I if we had the(m)“, schrieb sie im April 1938 an eine US-amerikanische Freundin.

Wie sind die Möbel nach England gekommen?

Sie wurden zuerst in die USA verschifft und erst nach dem Krieg, im Spätherbst 1946 oder 1947, nach Großbritannien geholt.

Die Möbel, um die es in dieser Ausstellung geht, sind abwesend, im Freud Museum London verblieben. Wieso hast Du Dich dazu entschlossen, in der Ausstellung keine Originale zu zeigen?

Auf Grund ihrer Geschichte, ihrer „Biografie“, die eng mit dem Nationalsozialismus in Österreich verknüpft ist und auf Grund der Beziehung Anna Freuds zu den Möbeln – sie hatte die Stücke gegen Ende ihres Lebens von ihrem Sommerhaus an der Ostküste Englands in ihr alltägliches städtisches Wohnumfeld geholt – war mir sehr bald klar, dass ich die Originale vor Ort, an ihrem von Anna Freud vorgesehenen Platz belassen wollte. Für mich war es stimmiger, nicht die Originale, sondern die Geschichte der Möbelstücke nach Österreich zu holen – und damit auch an Anna Freud und ihre Vertreibungsgeschichte zu erinnern.

Diese Ausstellung unterscheidet sich von "klassischen" musealen Präsentationsweisen. Was ist in der Ausstellung zu sehen, welcher Art sind die Exponate, wie unterscheiden sie sich von "Originalen"?

Die Ausstellung arbeitet mit „Ersatzobjekten“, wir haben sie „Substitute“ genannt. Diese 5 „Substitute“ (für die 5 Möbelstücke in Freud’s Dining Room) zeigen jeweils nicht die ganzen abwesenden Möbelstücke, sondern nur Teile davon. Jede „Wiener“ Möbelstation zeigt ein bestimmendes Merkmal des Originals in London, z.B. ein Truhenteil mit einer aussagekräftigen Malerei oder den Kastenfries mit dem Namenszug der früheren Eigentümerin. Ausgehend von diesem, das Möbelstück charakterisierenden Element, wird bei jeder Ausstellungsstation eine spezifische, inhaltlich passende Geschichte erzählt. So wird z.B. beim Kasten mit dem Namenszug die Geschichte der früheren Eigentümerin erzählt, soweit sie sich nachzeichnen lässt, um dann überzuleiten auf die letzte Eigentümerin des Kastens: Anna Freud.

Du arbeitest in der Ausstellung mit "memory objects" - kannst Du deren Funktion näher erläutern?

Die „Substitute“ habe ich auch „memory objects“ genannt, in ihrer materiellen Präsenz sollen sie an die Geschichte und an die individuellen Erfahrungen Anna Freuds im Kontext des Nationalsozialismus erinnern. Sie sind zusammengesetzt aus Weichholz (das typisch ist für Möbel ländlich-alpiner Herkunft) und Fotografie. In London wurden die Originale vom Gestalter der Ausstellung Alex Kubik mit einer Digitalkamera fotografiert; in Wien wurden am Bildschirm die entsprechenden Ausschnitte gewählt und im UV-Printverfahren auf die Holzteile gedruckt. Digitale Fotografie eröffnet uns beinahe unendliche Speichermöglichkeiten. Wichtig ist aber gerade für ein Museum, Informationen nicht nur zu speichern, sondern sie auch zu aktivieren. Durch das Ausschnitthafte (oder Lückenhafte), auch Artifizielle der Substitute/„memory objects“ will die Ausstellung Erinnerung nicht festschreiben, sondern beweglich halten, die Erinnerung an die Gegenwart heranführen. Ein solches „memory object“ ist auch die Soundcollage aus dem Freud Museum mit der Aufnahme der Pendeluhr aus Freud’s Dining Room. Auch diese konnte 1938 mit in die erzwungene Emigration genommen werden, sie schlägt vermutlich seit damals im Dining Room in Maresfield Gardens. Für mich verbindet sie – wie auch die Möbelstücke - das historische Wien/Österreich mit dem historischen London und das aktuelle London mit dem aktuellen Wien. 


Inwiefern ermöglichen „memory objects“ bzw. Substitute, dass Erinnerung beweglich(er) bleibt? Wäre das mit Originalen nicht der Fall bzw. wo würdest Du hier Unterschiede sehen? Oder nochmals anders gefragt: welche konkreten „Gefahren“ wären in diesem spezifischen Kontext mit den Originalen verbunden?

Mit Originalen wird im Museum ein spezifischer Umgang gepflegt – sowohl von KuratorInnen, als auch von BesucherInnen. Auch Anna Freud’s Möbel hätten eine bestimmte Behandlung bedurft, wir hätten sie sichern müssen oder zumindest mit dem Hinweis „Bitte nicht berühren“ versehen müssen. Die Substitute hingegen können BesucherInnen angreifen (z.B. können Kastentüren geöffnet werden), dadurch werden die Möbel und ihre Geschichte nochmals auf einer anderen Ebene „begreifbarer“. Auch lenken die Substitute den Blick bewusst auf spezifische Informationen, z.B. auf die Dimensionen/Größe der Möbel, um damit eine spezifische, für das Verständnis der Möbel relevante Frage zu generieren. In diesem Fall: Weshalb wurden diese sperrigen, schweren und (aus der Sicht eines volkskundlichen Museums) gar nicht so außergewöhnlichen Stücke überhaupt mitgenommen in die Emigration? Was machte sie für Anna Freud und Dorothy Burlingham so bedeutsam?
Um neue Informationen zu gewinnen, so meine Herangehensweise, müssen mitunter bestehende Informationen weggelassen werden. Das Ausschnitthafte der Substitute soll auch auf das Lückenhafte der Erzählung bzw. der Erinnerung verweisen. Schließlich sind die Substitute aktuell hergestellte Objekte, sie holen somit die Geschichte auch in ihrer Materialität in die Gegenwart. Dieser Aspekt erscheint mir in Bezug auf Gedächtnis und Erinnerung im Museum wichtig: nicht nur speichern, sondern auch erneuern.



Samstag, 9. April 2016

FOTOSACHE NR. 65: Gabriele Possanner



Archiv Susanne Breuss



Heute in meiner Fotoglosse im Extra der Wiener Zeitung: Ein Cover der lllustrirten Zeitung aus dem Jahr 1898, auf dem eine Auswahl der damals praktizierenden Ärztinnen abgebildet ist. Darunter befindet sich auch ein Foto von Gabriele Possanner von Ehrental, der ersten in Österreich promovierten Ärztin (oberste Reihe, zweites Foto von links).