"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Freitag, 25. April 2014

IN EIGENER SACHE NR. 1: Ein Blogstöckchen, ein Best Blog Award und 11 Fragen aus Frankfurt


 


Vor einiger Zeit ist mir aus Frankfurt a. M. ein "Blogstöckchen", verbunden mit einem "Best Blog Award" (siehe oben) zugeschickt worden. Absenderin war Nina Gorgus, Kuratorin im Historischen Museum Frankfurt. Sie ist dort u. a. für einen Teil der alltagskulturellen Sammlungen zuständig, arbeitet derzeit hauptsächlich an der Neukonzeption des Museums, und findet trotzdem Zeit, auch noch den von ihr initiierten Museumsblog zu betreuen und zu befüllen (dort findet sich auch ihr eigener Blogstöckchen/Best Blog Award-Beitrag inkl. der Antworten auf die ihr gestellten Fragen, die aus München von Tanja Praske kamen).

Mit diesem Blogstöckchen verknüpft ist nicht nur ein "Best Blog Award" (danke für die Würdigung!!!), sondern auch die Bitte, 11 Fragen zu beantworten - hier sind sie:

1. Worüber schreibst Du in Deinem Blog?
Über Alltagsdinge – und meiner Profession gemäß handelt es sich dabei meistens um historische. Wobei „Dinge“ auch buchstäblich gemeint sind, denn mein Blog handelt von materieller und visueller Kultur. Ein sehr weites Feld, die Schwerpunkte ergeben sich hauptsächlich aus meinen persönlichen Interessen und aus konkreten Arbeitszusammenhängen heraus. Ich verstehe den Blog als eine „zwanglose“, manchmal auch spielerische Ergänzung zu meiner wissenschaftlichen und kuratorisch-museologischen Tätigkeit. Hier finden nicht nur kleine Nebenprodukte größerer Projekte Platz, sondern es ist auch eine Möglichkeit, Alltagsbeobachtungen und Fundsachen (zum Beispiel aus historischen Quellen, mit denen ich gerade arbeite, oder Dinge, die mir auf Spaziergängen unterkommen) mitzuteilen. Nicht zuletzt ist es eine Möglichkeit, über Produkte und Ergebnisse meiner Arbeit (Publikationen, Ausstellungen, Radiosendungen etc.) zu informieren. Außerdem mache ich auf thematisch passende Ausstellungen, Vorträge, Tagungen, Bücher, Websites etc. von anderen aufmerksam. Ein Schwerpunkt liegt dabei zwar auf Österreich bzw. Wien, aber grundsätzlich ist der Horizont offen. 


2. Erinnerst Du Dich an Deinen ersten Blogartikel?
Ja, er hatte den Titel „Ansichtssache Nr. 1: Ein prominenter Küchenschrank“ und handelt von einem nach rationellen Kriterien hergestellten Küchenschrank der Firma Erdö aus der Zwischenkriegszeit: Ein Stück, das ich Jahre zuvor als Kuratorin für die Sammlungen des Wien Museums angekauft hatte und das zu der Zeit gerade in einer Ausstellung des Wien Museums über die Wiener Werkbundsiedlungsausstellung von 1932 zu sehen war. Der Schrank zählte schon immer zu meinen Lieblingssammlungsstücken, weil er so viele Geschichten verkörpert: die Rationalisierung der Hausarbeit in der Zwischenkriegszeit, neue Wohn- und Architekturmodelle, von der Hygienebewegung beeinflusste ästhetische Leitbilder, Wiener Möbelproduktion, Geschlechterverhältnisse, Modernisierung, etc. Mir ging es in dem Blogartikel darum, einerseits auf die Ausstellung aufmerksam zu machen, andererseits auf meinen Beitrag für den Ausstellungskatalog (er handelt von den Küchen in der Werkbundsiedlungsausstellung, in manchen von ihnen waren auch Erdö-Möbel ausgestellt). Die „Ansichtssache“ im Titel des Beitrags bezieht sich auf die Blogrubrik, in der es um Ausstellungen (und ähnliche Formate) geht. 


3. Hast du einen Artikelfavoriten im Blog? Wenn ja, warum?
Weniger einen einzelnen Artikel, sondern bestimmte Rubriken: zum Beispiel die Interviews mit Leuten, die sich in ihrer Arbeit mit Alltagsdingen beschäftigen, oder die zu bestimmten Dingen ein besonderes Verhältnis haben. Diese Schiene würde ich gerne ausbauen, aber leider mangelt es nicht nur mir selbst, sondern auch den Leuten, die ich interviewen möchte, oft an Zeit, trotz guten Willens…

4. Gibt es ein Leben außerhalb des Blogs?
Natürlich – irgendwie und irgendwann müssen ja auch die Dinge gesammelt, angesehen, gelesen, erlebt und überlegt werden, die dann im Blog landen… Ich finde, es ist schwer bis unmöglich, den professionellen Blick "abzuschalten", wenn man sich mit Alltagsdingen beschäftigt, denn Alltag ist überall…

5. Was sind Deine liebsten kulturellen Aktivitäten?
Abgesehen vom Beobachten alltagskultureller Phänomene um mich herum sowie Museen und Ausstellungen sind das Literatur und Kunst, beides sehr weit gefasst und vor allem letzteres auch im engeren Sinn aktiv ausgeübt. Weiters Architektur, Musik und Film. Zumindest halb zu den kulturellen Aktivitäten zähle ich aber auch meine Wanderungen und Spaziergänge – in der Stadt sowieso, aber ich finde auch Berge, Wälder und Wiesen kulturell ziemlich ergiebig, in dieser Hinsicht ist mein Blick vermutlich nicht zuletzt durch mein Volkskundestudium geschult. In letzter Zeit habe ich zum Beispiel ein gewisses Faible und einen damit einhergehenden fotografischen Sammeleifer für Schilder entwickelt – erstaunlich, wo sie einem überall unterkommen und was für rätselhafte Botschaften und Informationen sie vermitteln können. Auch hier freue ich mich besonders, wenn ich historische Exemplare entdecke, die auf nicht mehr existierende Lebensrealitäten verweisen.

6. Was findest Du an Ausstellungen/Museen gut?
Das Dreidimensionale, das Materielle, das Visuelle, das Ästhetische, das Historische (letzteres muss nicht unbedingt sein, hat für mich aber immer einen besonderen Reiz). Die Tatsache, dass man sich durch Räume bewegt und von interessanten Dingen umgeben ist. Wenn sie etwas bieten, das andere Medien in dieser Form nicht vermitteln oder zeigen können. 


7. Was findest Du an Ausstellungen/Museen nicht so gut?
Wenn sie zu didaktisch und schulmäßig daherkommen. Wenn sie zu penetrant „Erlebnisse“ schaffen wollen und Events wichtiger sind als das Ausstellen. Wenn sie mit zu viel unnötigem Medien- und Hands-on-Schnickschnack auftrumpfen wollen (nur zum Knöpfe drücken und über Bildschirme wischen gehe ich nicht ins Museum). Wenn man kein Konzept bzw. keine Aussage – wie simpel sie auch sein mag – erkennen kann. Wenn sie alle möglichen und unmöglichen, tatsächlichen und imaginierten Bedürfnisse von Besucher/inne/n erfüllen wollen und dabei völlig aus den Augen verlieren, was ihre „Alleinstellungsmerkmale“ sind. Wenn die Ausstellungsgestaltung bzw. die Architektur die Exponate erschlägt und zu einer unwichtigen oder gar lästigen Nebensache werden lässt. Wenn Masse ein inhaltliches Konzept, eine Fragestellung oder einen roten Faden ersetzt.

8. Dein Ausstellungstipp für den Frühling?
Hier erlaube ich mir, ein wenig Werbung für jenes Museum zu machen, in dessen wissenschaftlichem Beirat ich sitze und in dem ich vor sehr langer Zeit meine ersten praktischen Museumserfahrungen gesammelt habe: das Österreichische Museum für Volkskunde in Wien. Am 29. April 2014 eröffnet dort eine Ausstellung mit dem Titel "Gestellt. Fotografie als Werkzeug in der Habsburgermonarchie" – eine Ausstellung mit sehr hohem theoretischen Anspruch, ich bin gespannt, wie die praktische Umsetzung gelingt. Gleichzeitig wird dort eine weitere Ausstellung eröffnet, und zwar zum Thema "Arbeiten ruthenischer Flüchtlinge im Ersten Weltkrieg: Stick- und Knüpfmusterstücke" – ein ungewöhnlicher Beitrag zum Jubiläums-/Gedenkjahr und für mich eine Anknüpfung an mein erstes Museumspraktikum, das ich in der Textilsammlung des Volkskundemuseums absolviert habe.

9. Dein liebstes Museumscafe?
Schwer zu sagen, denn eigentlich besuche ich selten Museumscafés („richtige“ Cafés in der jeweiligen Stadt finde ich meist interessanter, vor allem, wenn man im Freien sitzen und das Stadtleben beobachten kann). Zuletzt war ich im Museumscafé im Oberösterreichischen Landesmuseum – dort gefällt mir die riesige Panoramaglasfläche mit der tollen Aussicht auf die Dächer und Kirchtürme von Linz besonders gut. Gespannt bin ich auf die weitere Entwicklung des derzeit nicht regulär im Betrieb befindlichen Cafés im Österreichischen Museum für Volkskunde – schon allein wegen des wunderbaren Gartens hätte das viel Potential für ein Lieblingscafé. Und natürlich hoffe ich darauf, dass es im neuen Wien Museum ein schönes und angenehmes Café geben wird – doch das ist derzeit ebenfalls noch Zukunftsmusik.
 

10. Möchtest Du uns sonst noch etwas sagen?
Danke für das Weiterreichen des „Blogstöckchens“ an mich und die damit verbundene Wertschätzung!

11. Du hast drei Wünsche frei, welche sind das?
Mehr Zeit, mehr Ruhe, mehr Platz – für alles mögliche, auch für den Blog.



Jetzt reiche ich das Blogstöckchen und damit den "Best Blog Award" weiter, und zwar an Nina Gorgus, denn sie betreibt ja noch einen weiteren Blog, den "Museumsblog. Feststellungen über Ausstellungen" (den Blog des Historischen Museums Frankfurt könnte man als ihren dienstlichen, den Museumsblog als ihren privaten bezeichnen). Das Weiterreichen ist mit 11 neuen Fragen verknüpft - hier sind sie: 

1. Um was geht es in Deinem Blog?
2. Wann und warum hast Du mit dem Bloggen begonnen und was magst Du daran?

3. Welches war die erste Ausstellung, an der Du gearbeitet hast und welche Erinnerungen hast Du daran?
4. Was fasziniert Dich persönlich am meisten an Ausstellungen bzw. Museen?
5. Gibt es etwas, das Du an Ausstellungen bzw. Museen gar nicht leiden kannst? 

6. Ist für Dich eine Welt ohne Museen denkbar und was wäre das für eine Welt?
7. Sammelst Du nur im Museumskontext oder auch privat? Falls auch letzteres: was und weshalb?

8. Welches Museum würdest Du unbedingt retten wollen, würde die Stadt drumherum abbrennen (das eigene Museum gilt hier nicht)?
9. Welches Ding würdest Du unbedingt retten wollen, würde Deine Wohnung abbrennen (Dokumente und Geld zählen nicht)?
10. Welche andere berufliche Tätigkeit könntest Du Dir gut für Dich vorstellen, würdest Du nicht in einem Museum arbeiten?
11. Die letzte Frage darfst Du Dir selbst aussuchen! 


Mittwoch, 23. April 2014

FUNDSACHE NR. 57: Die Tücke des Objekts






Zum Welttag des Buches (der 23. April wurde 1995 von der UNESCO dazu erklärt) eine  Fundsache aus meiner Ratgeber-Sammlung, und zwar aus: "Knigge modern. Wie man heute miteinander umgeht, in 35 Kapiteln berichtet von Nina Alexander", in der sechsten Auflage 1972 im Herder-Verlag erschienen.

Darin befindet sich auch ein kleines Kapitel mit dem Titel "Die Tücke des Objekts". Hier erfährt man, dass es viele Möglichkeiten gibt, bei denen die Tücke des Objekts große Verlegenheit bringen kann: "Der vergessene Hosenreißverschluß, die Laufmasche, das geplatzte Kleid oder die verrutschte Zweitfrisur".  Ebenso stehe es mit "umgeworfenen Tassen, Flecken auf dem Tischtuch, Spritzern auf der Hose des Tischnachbarn oder einem Fleischstück, das aus Gummi scheint, sich lange dem Messer widersetzt, um dann plötzlich über den Tisch zu kollern".

Da solche Dinge von den Betroffenen oft gar nicht bemerkt werden, sei es ein Gebot der Höflichkeit, sie unauffällig darauf hinzuweisen und ihnen gegebenenfalls helfend zur Hand zu gehen: "Wer in einer solchen Situation 'Huch' schreit und aufspringt, macht alle Übrigen auf das kleine Unglück aufmerksam und die Sache nur noch schlimmer."



Dienstag, 22. April 2014

SCHREIBSACHE NR. 3: CfA der Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur



Die Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur sucht für die kommende Ausgabe Beiträge zum Thema "Re-Visionen des Museums? Praktiken der Sichtbarmachung im Feld des Politischen". Nähere Infos hier.  


Aus dem Ankündigungstext:

Im Mittelpunkt der kommenden Ausgabe der FKW // Zeitschrift für Geschlechterforschung und visuelle Kultur stehen Folgen und Effekte der feministischen Kritik, der Gender-, Queer- und postkolonialer Theorie auf die museale Praxis. Museen gelten als Kultur legitimierende Institutionen sowie Speicher des kulturellen und kollektiven Gedächtnisses. Das hier bewahrte und sichtbar gemachte Wissen scheint mit Wahrheit und Authentizität verknüpft zu sein. Die Aufnahme in die museale Sammlung und Inszenierung verspricht die Partizipation an einer produktiven Macht. In Folge dessen ist das museale Display ein umkämpfter Ort von Sichtbarkeiten und Repräsentationen von materiellem und objektivem, im Sinne von (ver-)objektiviertem und somit gesichertem Wissen.

Sichtbarkeit ist ein zentraler Aspekt politischer Präsentation, weil Gesehen-Werden eng mit „Anerkennung“ verbunden ist. So ist die Zielsetzung vieler marginalisierter politischer Gruppen bereits die Sichtbarwerdung im Feld der hegemonialen Repräsentation. Mithin hat die feministische Forschung bereits seit den 1970er Jahre auf Ausschlüsse und Lücken in den großen Erzählungen der Museen verwiesen und die institutionelle Ordnung in Frage gestellt. Sichtbarwerdung bedeutet indessen keineswegs das Ende der Ideologie. Vielmehr lassen sich museale Praktiken nicht ohne normative Zuweisungen denken. So werden trotz oder auch gerade durch die Visualisierung Subjekte negativ oder positiv konnotiert qua Geschlecht, Hautfarbe, Alter oder sexueller Orientierung usw., da diese Kategorien mit bestimmten Zuschreibungen verknüpft sind und über ein gesellschaftlich anerkanntes Bildrepertoire wirken. Es greifen machtvolle visuelle Effekte, die nicht zuletzt Angebote der Identifikation bereitstellen und so gesellschaftspolitisch wirken. Bedeutsam ist deshalb die Art und Weise der Repräsentation, die das Sichtbargemachte mit Bedeutung belegt. Es geht demnach nicht um die wertfreie Sichtbarmachung, die auf den ersten Blick die Teilhabe an Macht und Ressourcen verspricht, sondern um das Wie des Sichtbar-Seins und Sichtbar Werdens.



Freitag, 18. April 2014

JOBSACHE NR. 2: Traumjob Museumsobjekt



Im Technischen Museum Wien kann man sich auch als Objekt für einen Job bewerben: Traumjobs (auf Lebenszeit!) für Dinge sind dort im Angebot, derzeit etwa für Wanderstöcke, Mopeds und Auto-Accessoires. Nähere Infos dazu gibt es hier.


Dienstag, 15. April 2014

FUNDSACHE NR. 55: Verboten - aber was?



© Susanne Breuss, 3/2014



Ein an einen Baum geschraubtes Schild, gefunden in Niederösterreich: Etwas ist hier verboten - aber was? Darauf findet sich kein Hinweis (mehr), ein in das Schild geritzter Kommentar vermutet oder befürchtet: alles. 




Freitag, 11. April 2014

FOTOSACHE NR. 30: Kriegshunde



Morgen erscheint im Extra der Wiener Zeitung im Rahmen meiner Fotoglosse ein Beitrag über Hunde im Kriegsdienst: Nachdem sie bereits auf eine lange Tradition als Nutztier zurückblicken konnten (auch in Wien bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein verbreitet etwa ihr Einsatz als "Zughund", also zum Ziehen von Lasten), kam ihnen im Ersten Weltkrieg eine wichtige Funktion als Transporthund, Sanitätshund, Suchhund etc. zu. Im patriotischen Fieber der ersten Kriegsjahre spendeten zahlreiche Wienerinnen und Wiener ihre vierbeinigen Lieblinge für Kriegszwecke - manchmal aber auch einfach deswegen, weil es ihnen nicht mehr möglich war, sie zu ernähren...   



Montag, 7. April 2014

TERMINSACHE NR. 63: Biography of Objects



Vom 24. bis 25. April 2014 findet an der Universität zu Köln ein Workshop zum Thema "Biography of Objects" statt. Die Beiträge sind einerseits theoretischen Ansätzen, andererseits verschiedenen Fallstudien gewidmet. Nähere Infos hier.