"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Montag, 29. Juli 2013

FOTOSACHE NR. 19: Bikini - viel Aufsehen, wenig Stoff



© Archiv Susanne Breuss


Genau 20 Jahre nachdem am 5. Juli 1946 in Paris Louis Réard seinen als „Bikini“ bezeichneten Badezweiteiler der staunenden Weltöffentlichkeit präsentierte, posierte eine junge Wienerin in einem rosa-weiß gemusterten Bikini mit dazu passender Hemdjacke vor der Kamera. Schauplatz: Sirmione in Italien. Anlass: Sommerurlaub 1966. Es ist nicht anzunehmen, dass sich die junge Dame in diesem Moment darüber im Klaren war, dass sie dem Bikini anlässlich seines runden Geburtstages quasi eine Reverenz erwies. Doch der Kommentar, den sie später im Fotoalbum über der Aufnahme verfasst hat, lässt vermuten, dass sie dieses Kleidungsstück durchaus bewusst trug. „Bin ich nicht gut?“ heißt es da recht keck, und die Bikini-Pose, auf die sich diese Frage bezieht, ist ganz offensichtlich den unzähligen seit 1946 zirkulierenden Vorbildern abgeschaut.
Als Réard vor 60 Jahren mit sehr wenig Stoff sehr viel Aufsehen erregte, galt der Bikini als etwas sensationell Neues. Die aggressive Vermarktungsstrategie profitierte nicht zuletzt von der sehr geschickten Namensgebung. Kurz zuvor war das zu den Marshall-Inseln gehörende Südsee-Atoll Bikini als nukleares Testgebiet in die Schlagzeilen geraten. Mit der Wucht einer Atombombe sollte nach dem Wunsch seines Schöpfers auch der textile Bikini einschlagen und die Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehen. In Wirklichkeit war der Zweiteiler gar nicht neu, denn er besaß zum Teil sehr weit in die Geschichte zurückreichende Vorläufer. Neu war jedoch, dass er mit derart wenig Stoff auskam und die weiblichen Körperformen ausdrücklich betonte, ja zur Schau stellte. Diese Erotisierung eines ursprünglich eher praktischen Kleidungsstückes mobilisierte nicht nur die Sittenwächter. Es führte auch dazu, dass der Bikini zunächst weniger als Badebekleidung, sondern eher als Outfit von Filmsternchen und Revuegirls diente. Zahlreiche Bikinistars bevölkerten in den folgenden Jahren die Illustrierten- und Filmwelt: von Rita Hayworth und Jayne Mansfield über Brigitte Bardot bis hin zu Ursula Andress und diversen namenlosen Pin-up-Girls.
Erst in den 1960er Jahren mutierte der Bikini allmählich zu einer „normalen“ Schwimm- und Strandbekleidung. Aber auch damals konnte es in konservativ-prüden Gegenden noch passieren, dass Bikini tragenden Frauen ein liederlicher Lebenswandel angedichtet wurde. Jedenfalls hatte der Bikini noch immer einen Hauch des Verruchten. Die hier abgebildete Urlaubsfotografie vermittelt noch eine Ahnung davon - obwohl dieser Bikini eher züchtige Dimensionen besitzt.


Dieser Text erschien erstmals als:
Susanne Breuss: Viel Aufsehen, wenig Stoff (= Fotoglosse „schwarz & weiß“), in: Wiener Zeitung Extra, 5.8.2006, S. 2.


Sonntag, 28. Juli 2013

DRUCKSACHE NR. 20: Kulturgeschichte des Schwimmens







Noch einmal das Thema Schwimmen: Eine Kulturgeschichte des Schwimmens von Lynn Sherr mit dem Titel "Swim. Über unsere Liebe zum Wasser", die deutsche Ausgabe ist 2013 im Haffmans-Tolkemitt Verlag Berlin erschienen.
Eine Besprechung des Buches von Gerald Schmickl in der Wiener Zeitung findet sich hier.



Samstag, 27. Juli 2013

ANSICHTSSACHE NR. 35: Der philanthropische Schwimmmeister - Unterricht in der edlen Schwimmkunst



© Wienbibliothek im Rathaus


Passend zum Wetter das Objekt des Monats Juli 2013 der Wienbibliothek im Rathaus: "Der philantropische [!] Schwimmmeister, oder: gründlicher theoretisch-praktischer Unterricht in der edlen Schwimmkunst" aus der Feder des ungarischen Kanzleibeamten und Schwimmpioniers Carl Csillagh, erschienen im Jahr 1841 in Wien. Der Autor gibt in diesem Buch Tipps für die richtige Vorbereitung, das Trockentraining, Dauer und Intensität der Trainingseinheiten sowie Hinweise für Rettungsschwimmer. Behandelt werden Tänze und Purzelbäume im Wasser ebenso wie das Tauchen oder das Schwimmen bei Strömung. Philanthropisch war an dem "Schwimmmeister" vor allem der "zivile" Zugang Csillaghs zum Thema Schwimmen, das damals noch vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der körperlichen Ertüchtigung und militärischen Nützlichkeit gesehen wurde.

Nähere Infos zum Buch hier, den Volltext gibt es in der digitalen Bibliothek



Dienstag, 23. Juli 2013

DRUCKSACHE NR. 19: Kreebs'n und Limonien, Schweewl und Bomad - Aufsatz im Katalog zur Ausstellung "Wiener Typen. Klischees und Wirklichkeit" im Wien Museum



Salamiverkäufer, um 1780, Kupferstich von Johann Christian Brand
© Wien Museum




Die Ausstellung ""Wiener Typen. Klischees und Wirklichkeit" ist noch bis 6. Oktober 2013 im Wien Museum zu sehen - nun liegt auch der Ausstellungskatalog vor. Darin befindet sich ein Beitrag von mir, der am Beispiel der Lebensmittelversorgung um 1800 konsum- und alltagshistorische Aspekte der Wiener Typen-Darstellungen behandelt und unter anderem der Frage nachgeht, welche Bedeutung dem Schnecken- und Krebsenkonsum damals zukam:
    
Susanne Breuss: Kreebs'n und Limonien, Schweewl und Bomad. Alltags- und konsumhistorische Aspekte der Wiener Kaufruf- und Volkstypendarstellungen um 1800. In: Kos, Wolfgang (Hg.): Wiener Typen. Klischees und Wirklichkeit. Ausstellungskatalog Wien Museum. Wien 2013. S. 152-157.

Zur Abbildung:

Bis zum Ersten Weltkrieg waren die meist aus Norditalien stammenden Händler mit „welschen“ Würsten in Wien allgegenwärtig. Die sogenannten „Salamudschi“ oder „Salamini“ boten am Graben, im Prater oder in den Heurigen der Wiener Vororte ihre Ware an, darunter auch Käse. Charakteristisch waren ihre breitkrempigen Kalabreserhüte und ihre Kaufrufe: „Salamini, da bin i!“ oder „Salami – Käs‘, Käs‘ – Duri, Duri!“

ACHTUNG!
Die im Folder zur Ausstellung "Wiener Typen. Klischees und Wirklichkeit" angekündigte Spezialführung von mir am 1. September 2013 findet nicht statt, da ich an diesem Tag verhindert bin (der Termin wurde leider ohne Rücksprache mit mir festgesetzt und publiziert; nicht korrekt wiedergegeben sind im Ausstellungszusammenhang übrigens auch meine Kurzbiografie und meine Funktionsbezeichnung...).


Montag, 22. Juli 2013

HÖRSACHE NR. 34: Die Samenbombe


Samenbomben


© Wolfgang Popp / ORF


Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden.

Mit der heutigen Sendung ist die Reihe im Jahr 2013 und damit an ihrem Ende angekommen. Zum Abschluss gab es eine "Doppelausgabe", in der Peter Payer für das Technische Museum Wien und ich für das Wien Museum gemeinsam mit Wolfgang Popp über die "Samenbombe" und ihre praktische und symbolische Bedeutung für eine ganze Reihe von wichtigen Gegenwartstrends sprachen. Ursprünglich für gärtnerische Guerillaaktionen im New York der 1970er Jahre entwickelt, um auch an entlegenen und schwer zugänglichen Stellen Pflanzensamen anbringen zu können, steht die Samenbombe heute nicht mehr so sehr für Subversivität, sondern viel mehr für das gewachsene Bedürfnis breiter Bevölkerungsschichten, den städtischen Lebensraum zu verbessern und eigeninitiativ an der Gestaltung der eigenen Umwelt teilzuhaben. "Guerilla Gardening" und "Urban Gardening" stehen für ein neues Verständnis von Urbanität und öffentlichem Raum, Wohlstand und Lebensqualität ebenso wie es dabei um die Auseinandersetzung mit natürlichen Ressourcen, Raumverteilung, Globalisierung, der Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche, ökologischen Fragen, der Herkunft und Qualität von Nahrungsmitteln, Gesundheit, Nachbarschaft oder um die Suche nach sinnvollen Freizeitbeschäftigungen und Alternativen zum Konsumwahn sowie zur Virtualisierung und Technisierung des Lebens geht. In den unscheinbaren braunen Kugeln steckt also weitaus mehr als ein paar Gramm Ton, Erde und Pflanzensamen. Mussten derartige Samenbomben zunächst selbst hergestellt werden, kann man sie mittlerweile in Bioläden, Drogerie- und Blumenmärkten fertig kaufen - ein deutliches Zeichen dafür, dass die Bewegung im Mainstream angekommen ist.       

Website "Zum Greifen nah"
Zum Nachhören


Samstag, 20. Juli 2013

FOTOSACHE NR. 18: Eine kleine Sommerfreude - das Jolly-Eis



© Archiv Susanne Breuss



Der Bild gewordene Triumph eines Sommertags: ein Jolly-Eis, stolz in die Kamera gehalten. 1971, als dieses Foto aufgenommen wurde, kostete ein solches Eis zwei Schilling. Genauso viel wie im Jahr 1967, als es neu auf den Markt gekommen war. Damals wurde noch in „Ein-Schilling-Eis“ und „Zwei-Schilling-Eis“ gerechnet. Drei, vier, fünf oder gar mehr Schilling für ein Eis ausgeben zu können, war nicht allen vergönnt oder nur besonderen Anlässen vorbehalten. Ein Cornetto um stolze sieben Schilling gab es an Geburtstagen, zur Firmung, oder wenn die spendable Großmutter zu Besuch war. 

Das Jolly-Eis war eine Art Kompromiss – nicht das billigste, aber doch noch billig genug, um es auch an „normalen“ Sommertagen in greif- und schleckbare Nähe rücken zu lassen. Vorausgesetzt, dass man brav war, dass man das Mittagessen anstandslos und bis zum letzten Bissen verzehrt hatte. Als selbstverständlich galt es nicht. Es war immer ein kleiner Sieg, wenn man ein Eis bekam, selbst wenn es „nur“ ein Jolly war. Davon zeugt auch das vor Freude strahlende Kind auf dieser Fotografie.
Speiseeis ist ein bereits Jahrtausende altes kulinarisches Vergnügen. Seine Erfindung wird den Chinesen zugeschrieben, die um 3.000 vor Christus angefangen haben dürften, aromatisierte Eis- und Schneestücke zu verzehren. Die erste Speiseeisfabrik wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA errichtet, der erste Eislutscher am Stiel ebenfalls in den USA erfunden und 1923 patentiert. 

Etwa zur gleichen Zeit wurde in Österreich der Grundstein für die industrielle Speiseeisherstellung gelegt. Die Idee kam von Karola Hehle, der Tochter des damaligen Direktors der Wiener Milchindustrie AG (MIAG). Sie hatte während eines England-Aufenthaltes praktische Erfahrungen in der Eiscremeindustrie gesammelt. Nach ihrer Rückkehr wurde in der MIAG eine Speiseeisproduktion gestartet. Das Eis kam unter dem Markennamen Eskimo in den Handel und wurde zunächst über Milchgeschäfte verkauft. 1927 wurde erstmals ein Eis am Stiel, der Eskimo-Eislutscher produziert.
Da die MIAG die Speiseeisproduktion lediglich als Nebenprodukt der Milcherzeugung verstand, verkaufte sie die Marke Eskimo 1960 an Unilever Österreich. Aus einer Wiener Marke wurde eine österreichische Marke. Das Sortiment wurde modernisiert und auf ein internationales Niveau gebracht. In den 60er Jahren wurden die heute zu den Eskimo-Klassikern zählenden Marken Twinni, Jolly und Brickerl entwickelt. Das aus Ananas- und Himbeereis bestehende Jolly zählt bis heute zu den umsatzstarken Einzelmarken von Eskimo. Die Idee dazu kam aus Italien und Dänemark. Produkte, die im Ausland großen Anklang gefunden hatten, wurden „austrifiziert“, sofern Marktforschungsstudien und Produkttests einen ähnlichen Erfolg für den österreichischen Markt versprachen. 



Dieser Text erschien erstmals als:
Susanne Breuss: Eine kleine Sommerfreude (= Fotoglosse schwarz & weiß). In: Wiener Zeitung Extra, 28. Juli 2007. S. 2.


Freitag, 19. Juli 2013

FORSCHUNGSSACHE NR. 6: Kulinarische "Heimat" und "Fremde". Ernährung und Migration im 19. und 20. Jahrhundert - Ein Tagungsbericht


Vom 24. bis 25. Mai 2013 fand in St. Pölten die vom Institut für Geschichte des ländlichen Raumes, dem Niederösterreichischen Landesarchiv und dem Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien der Universität Osnabrück veranstaltete Tagung "Kulinarische 'Heimat' und 'Fremde'. Ernährung und Migration im 19. und 20. Jahrhundert" statt. Nun gibt es auf hsozkult einen Tagungsbericht von Barbara Staudinger und Anne Unterwurzacher dazu.


Donnerstag, 18. Juli 2013

HÖRSACHE NR. 33: Das iPad


iPad


© Technisches Museum Wien



Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden.

Am 15. Juli 2013 begab sich die Sendung in das Jahr 2010 und beschäftigte sich dem iPad und dessen Folgen für die Wahrnehmung der analogen Wirklichkeit (Interview mit Otmar Moritsch).  



Mittwoch, 17. Juli 2013

FORSCHUNGSSACHE NR. 5: Die Sinnlichkeit der Technik



Vom 10. bis 12. Mai 2013 fand in Dresden die Jahrestagung der Gesellschaft für Technikgeschichte statt. Thema war heuer "Die Sinnlichkeit der Technik", die Bandbreite der in den Referaten behandelten Aspekte reichte vom Rattern des Geldautomaten und dem Ticken des Geigerzählers über die Materialität des frühen Films bis hin zum Erspüren und Erleben der E-Gitarre. Auf hsozkult ist nun ein Tagungsbericht von Hagen Schönrich (TU Dresden) dazu erschienen.


Dienstag, 16. Juli 2013

ANSICHTSSACHE NR. 34: Klapperdeckchen



Geschirrdecken aus Spitze
© Jüdisches Museum Berlin



Lärm kann man nicht nur produzieren, sondern auch vermeiden - dafür gibt es sogar eigene Gegenstände: Zum Beispiel "Klapperdeckchen", wie sie sich in der Sammlung des Jüdischen Museums Berlin finden. Diese textilien Untersetzer stammen aus einer Arztfamilie und wurden zwischen die einzelnen Geschirrteile gelegt, um beim Servieren und Speisen das Geschirrgeklapper zu dämpfen und außerdem das Porzellan zu schonen. Zu sehen sind sie auf dem Blog des Jüdischen Museums Berlin.


Montag, 15. Juli 2013

ANSICHTSSACHE NR. 33: Sammlungen des Wien Museums online



Wer Fotos von historischen Wiener Baustellen (zum Beispiel: Votivkirche), Geschäftsfassaden (zum Beispiel: Warenhaus Neumann) oder Hausportalen (zum Beispiel: Neustiftgasse 49) ansehen möchte, kann dies seit kurzem auf der Website des Wien Museums machen, wo nun Sammlungsteilbestände auszugsweise online zugänglich sind - derzeit unter anderem frühe Stadtfotografie oder eine Auswahl aus dem Werk von August Stauda und jenem von Trude Fleischmann (Liste hier).


Freitag, 12. Juli 2013

HÖRSACHE NR. 32: Die Freitag-Tasche



Freitag Tasche

© Wien Museum


Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden.
Am 8. Juli 2013 begab sich die Sendung in das Jahr 2002 und beschäftigte sich mit der Freitag-Tasche (Interview mit Martina Nußbaumer). Die Sendung kann hier nachgehört werden, eine Kurzfassung gibt es auf der Website "Zum Greifen nah").
Und hier erläutert Martina Nußbaumer ausführlich, warum die Freitag-Tasche sozial- und kulturhistorisch interessant ist und somit ein relevantes Sammelobjekt für ein Stadtmuseum:


Woher kommt die Freitag-Tasche, was war ihre ursprüngliche Idee?

Die Freitag-Tasche ist ein Produkt der Schweizer Grafikdesigner und Brüder Markus und Daniel Freitag – zwei passionierte Radfahrer, die 1993 auf der Suche nach einer robusten, funktionellen und wasserabweisenden Tasche waren, mit der sie ihre Entwürfe transportieren konnten. Inspiriert von New Yorker Fahrradkuriertaschen und dem Fernlastverkehr, der vor den Fenstern ihrer WG-Küche vorbeidonnerte, schneiderten sie aus einer alten LKW-Plane eine Kuriertasche; als Tragegurt verwendeten sie gebrauchte Autogurte, als Einfassung diente ein alter Fahrradschlauch.
Was ursprünglich nur für den Eigenbedarf gedacht war, löste bald eine richtige Modewelle in der Taschenwelt aus, und aus der Idee wurde ein Unternehmen, das heute über 130 Mitarbeiter beschäftigt. Zunächst wurden die Freitag-Taschen nur auf Zürcher Szene-Parties vertrieben, bald aber auch in Geschäften. Heute sind Freitag-Taschen in über 450 Geschäften weltweit und auch in 10 eigenen Stores erhältlich. In Österreich werden Freitag-Taschen seit 1997 verkauft. Mittlerweile gibt es rund 40 Taschenmodelle, das ursprüngliche Kuriertaschensortiment wurde um Rucksäcke, Geldbörsen und Laptopsleeves erweitert. Die Grundidee, nur recyclete Materialien zu verwenden, wurde beibehalten. Jährlich werden rund 400.000 Produkte hergestellt und dafür 440 Tonnen LKW-Planen (das entspricht einer 110 km langen LKW-Kolonne), 35.000

Fahrradschläuche und 288.000 Autogurte verarbeitet.



Warum gilt die Freitag-Tasche als Bobo-Accessoire?

Die Freitag-Tasche steht symbolisch für einige Werte, die gemeinhin gerne dem Bobo zugeschrieben werden:
Sie steht für Individualität (jedes Stück ist, weil aus recycleten Materialien gefertigt, ein Unikat).

Sie steht für einen positiv besetzten Wert von Mobilität und ist daher attraktiv für moderne Stadtnomad/inn/en: durch ihre Robustheit und Wetterfestigkeit, die sie vor allem für Radfahrer/innen interessant macht, und durch ihr Material, das selbst schon eine Geschichte der Mobilität in sich trägt (LKW-Planen, Fahrradschläuche und Autogurte haben bereits eine Reise hinter sich).
Sie steht für Flexibilität: viele Taschen sind je nach Bedarf größer oder kleiner zu machen, passen sich also den Anforderungen der Träger/innen an.
Durch die Verwendung gebrauchter Materialien steht sie für Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein und kommt den gegenwärtigen Trends des Upcycling entgegen.
Sie steht für guten Design-Geschmack: Die Freitag-Tasche ist Schweizer Design, das generell einen guten, qualitätvollen Ruf genießt.
Sie steht von der Marke her auch für eine erfolgreiche Start-Up Idee. Die Freitag-Brüder verkörpern genau das, was sich Städte, die sich als Kreativstandorte positionieren wollen, idealtypisch wünschen: junge, kreative Menschen, die in der WG mit wenigen Mitteln neue Produktideen aushecken und daraus erfolgreiche Unternehmen entwickeln.
Die Freitag-Tasche bietet nicht zuletzt Platz für Utensilien, die dem Bobo gerne zugeschrieben werden: Manche Taschenlinien haben zum Beispiel eigene Fächer für das MacBook und das I-Phone – Arbeitsutensilien also, die ebenfalls als klassische Bobo-Utensilien gelten.
In der Freitag-Tasche spiegelt sich auch ein gewisser Trend, dass der moderne Stadtnomade im Alltag tendenziell immer mehr mitschleppt, was auch viel damit zu tun hat, dass Arbeitszeit und Freizeitgestaltung immer stärker ineinanderfließen. Man steckt den Laptop ein, weil man ja vielleicht zwischendurch eine Stunde zum Arbeiten kommen könnte, auch wenn man ihn vielleicht einen ganzen Tag gar nicht verwendet. Neuere Freitag-Modelle haben zum Beispiel eigene Fächer für Mac-Book und I-Phone und tragen so dem Trend Rechnung, dass wir immer mehr elektronische Geräte mit uns herumtragen. 

Die Firma Freitag arbeitet auch von ihrer Werbesprache und von ihren Marketingaktivitäten stark am Image des Lifestyleprodukts für den unabhängigen, individuellen, freigeistigen Stadtbewohner mit und geht geschickte Kooperationen ein. 


Was macht die Freitag-Tasche für die Sammlung eines Stadtmuseums interessant?

Die Freitag-Tasche ist im Stadtbild Wiens seit Ende der 1990er Jahre präsent und hat – wie in anderen Ländern – auch hierzulande viele Nachahmungsprodukte gefunden, sie wurde quasi zum Prototyp der Umhängetasche der 2000er Jahre schlechthin. In vielen Lifestyle-Magazinen und Stadtzeitungen gilt sie als das typische Accessoire von urbanen Kreativarbeitern in den 2000er Jahren; die Wiener Stadtzeitung „Falter“ hat sie auch wenig schmeichelhaft als die klassische Bobo-Tasche beschrieben, also als Tasche der sog. „Bourgeois Bohémiens“. Sie steht aber auch für einen verstärkten Trend zum Radfahren in der Stadt, den man in den letzten 10, 15 Jahren sicher ausmachen kann. Außerdem für eine stärkere Auseinandersetzung mit Recycling bzw. Upcycling im Produktdesign (Upcycling: Begriff, der hierzulande in den letzten Jahren hip wird. Beim Upcycling geht es darum, dass Abfallprodukte oder nutzlos gewordene Stoffe in neuwertige, höherwertige Produkte umgewandelt werden, es also zu einer Aufwertung der ursprünglichen Stoffe kommt.)


Samstag, 6. Juli 2013

ANSICHTSSACHE NR. 32: Kleidersachen



  p-dress:

Photographe anonyme - Coiffe (vers 1880) 13,9x10. Galerie Lumière des Roses


Kaum hat der Sommer begonnen, verschwindet in den Kleidergeschäften via Abverkauf die sommerliche Ware und es werden die Herbst- und Wintersachen in die Regale geräumt. Ein deutliches Zeichen dafür, dass Kleidung in unserer Gesellschaft in hohem Ausmaß an Mode und die damit verknüpften Marktmechanismen gebunden ist. Angesichts der oft uniformen Masse an "Saisonware" und deren schneller Entwertung kommt einem dabei leicht der Blick für die enorme Vielfalt an Kleidung abhanden. Wer sich lieber darauf besinnt, anstatt in der Julihitze in stickigen Umkleidekabinen die neuesten Daunenmäntel und Rollkragenpullover anzuprobieren, kann das zum Beispiel in den angenehm kühlen Räumen von Museen mit einschlägigen Sammlungen oder Sonderausstellungen machen. Ebenfalls dazu geeignet, der Ausweitung des Horizonts ein wenig auf die Sprünge zu helfen, sind Bilderblogs wie Kleidersachen der Textilkünstlerin und ausgebildeten Kulturwissenschaftlerin Beatrice Oettinger, die hier eine große Bandbreite an Kleidung versammelt - von Kunst und Mode über Tracht und Maskierung bis hin zu ganz alltäglichen oder auch ganz ungewöhnlichen textilen und sonstigen Körperhüllen. Einiges davon stammt von ähnlichen Blogs wie p-dress oder textilesystematisms.


Freitag, 5. Juli 2013

ANSICHTSSACHE NR. 31: Gestaltung für den modernen Haushalt


Im Grassi Museum für angewandte Kunst in Leipzig ist noch bis 14. Juli 2013 die Ausstellung "Gestaltung für den modernen Haushalt" zu sehen.

Ankündigungstext:
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts gab es immer wieder Versuche, geschmackserziehend auf Hersteller und Verbraucher einzuwirken. Sogenannte Warenkunden, meist Bücher und Loseblattsammlungen, zeigten vobildhafte Produktgestaltung. Ob sie tatsächlich großen Einfluss auf das private Kaufverhalten hatten, ist ungewiss. Dennoch boten sie Orientierung im wachsenden Dschungel eines immer größer werdenden Warenangebots.
In den Vitrinen der Pfeilerhalle werden Porzellangeschirre, Bestecke, Trinkgläser, Vasen, Küchengeräte- und -maschinen, Leuchten, aber auch Dekorationsstoffe, beginnend bei den 1930er Jahren bis ins späte 20. Jahrhundert gezeigt. Die Exponate zeigen teilweise die Produktlinien großer Hersteller und Designer über einen längeren Zeitraum, demonstrieren aber auch die große Bandbreite des modernen Alltagsdesign.  



Donnerstag, 4. Juli 2013

TERMINSACHE NR. 37: Im Schatten der Dinge



Heute Abend um 18 Uhr findet im Hörsaal HS 30 im Hauptgebäude der Universität Wien folgender Vortrag statt:

Hans Peter Hahn (Frankfurt a. M.): 
Im Schatten der Dinge - Materielle Kultur als marginalisiertes Forschungsfeld in den Geistes- und Kulturwissenschaften
(im Rahmen des interdisziplinären Workshops "Materielle Kultur/material culture", 4.-5. Juli 2013, veranstaltet von C. Köhler/Institut für Ägyptologie und G. Schörner/Institut für Klassische Archäologie - Programm hier)


Mittwoch, 3. Juli 2013

ANSICHTSSACHE NR. 30: Das Gelbe vom Ei - eine Ausstellung über das Essen


Ab 26. Juli 2013 ist im Deutschen Museum in München die Ausstellung "Das Gelbe vom Ei. Eine Ausstellung über das Essen" zu sehen, und zwar in Form einer "Großinszenierung", die in einem überdimensionierten Regal ein 46-Gänge-Menü präsentiert. Behandelt werden Themen wie Ernährung und Gesundheit, die Vermeidung von Lebensmittelabfällen, Fragen der Produktion und Konservierung ebenso wie individuelle Ernährungsgewohnheiten oder die Kulturgeschichte des Brotes.


Montag, 1. Juli 2013

HÖRSACHE NR. 31: Digitalkamera


Digicam

© Technisches Museum Wien


Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden.

Heute begab sich die Sendung in das Jahr 1997 und beschäftigte sich mit der Digitalkamera und deren Folgen für den Gebrauch der Fotografie (Interview mit Wolfgang Pensold).