"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Samstag, 20. Juli 2013

FOTOSACHE NR. 18: Eine kleine Sommerfreude - das Jolly-Eis



© Archiv Susanne Breuss



Der Bild gewordene Triumph eines Sommertags: ein Jolly-Eis, stolz in die Kamera gehalten. 1971, als dieses Foto aufgenommen wurde, kostete ein solches Eis zwei Schilling. Genauso viel wie im Jahr 1967, als es neu auf den Markt gekommen war. Damals wurde noch in „Ein-Schilling-Eis“ und „Zwei-Schilling-Eis“ gerechnet. Drei, vier, fünf oder gar mehr Schilling für ein Eis ausgeben zu können, war nicht allen vergönnt oder nur besonderen Anlässen vorbehalten. Ein Cornetto um stolze sieben Schilling gab es an Geburtstagen, zur Firmung, oder wenn die spendable Großmutter zu Besuch war. 

Das Jolly-Eis war eine Art Kompromiss – nicht das billigste, aber doch noch billig genug, um es auch an „normalen“ Sommertagen in greif- und schleckbare Nähe rücken zu lassen. Vorausgesetzt, dass man brav war, dass man das Mittagessen anstandslos und bis zum letzten Bissen verzehrt hatte. Als selbstverständlich galt es nicht. Es war immer ein kleiner Sieg, wenn man ein Eis bekam, selbst wenn es „nur“ ein Jolly war. Davon zeugt auch das vor Freude strahlende Kind auf dieser Fotografie.
Speiseeis ist ein bereits Jahrtausende altes kulinarisches Vergnügen. Seine Erfindung wird den Chinesen zugeschrieben, die um 3.000 vor Christus angefangen haben dürften, aromatisierte Eis- und Schneestücke zu verzehren. Die erste Speiseeisfabrik wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA errichtet, der erste Eislutscher am Stiel ebenfalls in den USA erfunden und 1923 patentiert. 

Etwa zur gleichen Zeit wurde in Österreich der Grundstein für die industrielle Speiseeisherstellung gelegt. Die Idee kam von Karola Hehle, der Tochter des damaligen Direktors der Wiener Milchindustrie AG (MIAG). Sie hatte während eines England-Aufenthaltes praktische Erfahrungen in der Eiscremeindustrie gesammelt. Nach ihrer Rückkehr wurde in der MIAG eine Speiseeisproduktion gestartet. Das Eis kam unter dem Markennamen Eskimo in den Handel und wurde zunächst über Milchgeschäfte verkauft. 1927 wurde erstmals ein Eis am Stiel, der Eskimo-Eislutscher produziert.
Da die MIAG die Speiseeisproduktion lediglich als Nebenprodukt der Milcherzeugung verstand, verkaufte sie die Marke Eskimo 1960 an Unilever Österreich. Aus einer Wiener Marke wurde eine österreichische Marke. Das Sortiment wurde modernisiert und auf ein internationales Niveau gebracht. In den 60er Jahren wurden die heute zu den Eskimo-Klassikern zählenden Marken Twinni, Jolly und Brickerl entwickelt. Das aus Ananas- und Himbeereis bestehende Jolly zählt bis heute zu den umsatzstarken Einzelmarken von Eskimo. Die Idee dazu kam aus Italien und Dänemark. Produkte, die im Ausland großen Anklang gefunden hatten, wurden „austrifiziert“, sofern Marktforschungsstudien und Produkttests einen ähnlichen Erfolg für den österreichischen Markt versprachen. 



Dieser Text erschien erstmals als:
Susanne Breuss: Eine kleine Sommerfreude (= Fotoglosse schwarz & weiß). In: Wiener Zeitung Extra, 28. Juli 2007. S. 2.


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