© Wien Museum
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Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit
dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie
„Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge
aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden.
Am 8. Juli 2013 begab sich die Sendung in das Jahr 2002 und beschäftigte sich mit der Freitag-Tasche (Interview mit Martina Nußbaumer). Die Sendung kann hier nachgehört werden, eine Kurzfassung gibt es auf der Website "Zum Greifen nah").Und hier erläutert Martina Nußbaumer ausführlich, warum die Freitag-Tasche sozial- und kulturhistorisch interessant ist und somit ein relevantes Sammelobjekt für ein Stadtmuseum:
Woher kommt die Freitag-Tasche, was war ihre ursprüngliche Idee?
Die Freitag-Tasche ist ein Produkt der Schweizer Grafikdesigner und Brüder Markus und Daniel Freitag – zwei passionierte Radfahrer, die 1993 auf der Suche nach einer robusten, funktionellen und wasserabweisenden Tasche waren, mit der sie ihre Entwürfe transportieren konnten. Inspiriert von New Yorker Fahrradkuriertaschen und dem Fernlastverkehr, der vor den Fenstern ihrer WG-Küche vorbeidonnerte, schneiderten sie aus einer alten LKW-Plane eine Kuriertasche; als Tragegurt verwendeten sie gebrauchte Autogurte, als Einfassung diente ein alter Fahrradschlauch.
Was ursprünglich nur für den Eigenbedarf gedacht war, löste bald eine richtige Modewelle in der Taschenwelt aus, und aus der Idee wurde ein Unternehmen, das heute über 130 Mitarbeiter beschäftigt. Zunächst wurden die Freitag-Taschen nur auf Zürcher Szene-Parties vertrieben, bald aber auch in Geschäften. Heute sind Freitag-Taschen in über 450 Geschäften weltweit und auch in 10 eigenen Stores erhältlich. In Österreich werden Freitag-Taschen seit 1997 verkauft. Mittlerweile gibt es rund 40 Taschenmodelle, das ursprüngliche Kuriertaschensortiment wurde um Rucksäcke, Geldbörsen und Laptopsleeves erweitert. Die Grundidee, nur recyclete Materialien zu verwenden, wurde beibehalten. Jährlich werden rund 400.000 Produkte hergestellt und dafür 440 Tonnen LKW-Planen (das entspricht einer 110 km langen LKW-Kolonne), 35.000
Fahrradschläuche und 288.000 Autogurte verarbeitet.
Warum gilt die Freitag-Tasche als Bobo-Accessoire?
Die Freitag-Tasche steht symbolisch für einige Werte, die gemeinhin gerne dem Bobo zugeschrieben werden:
Sie steht für Individualität (jedes Stück ist, weil aus recycleten Materialien gefertigt, ein Unikat).
Sie steht für einen positiv besetzten Wert von Mobilität und ist daher attraktiv für moderne Stadtnomad/inn/en: durch ihre Robustheit und Wetterfestigkeit, die sie vor allem für Radfahrer/innen interessant macht, und durch ihr Material, das selbst schon eine Geschichte der Mobilität in sich trägt (LKW-Planen, Fahrradschläuche und Autogurte haben bereits eine Reise hinter sich).
Sie steht für Flexibilität: viele Taschen sind je nach Bedarf größer oder kleiner zu machen, passen sich also den Anforderungen der Träger/innen an.
Durch die Verwendung gebrauchter Materialien steht sie für Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein und kommt den gegenwärtigen Trends des Upcycling entgegen.
Sie steht für guten Design-Geschmack: Die Freitag-Tasche ist Schweizer Design, das generell einen guten, qualitätvollen Ruf genießt.
Sie steht von der Marke her auch für eine erfolgreiche Start-Up Idee. Die Freitag-Brüder verkörpern genau das, was sich Städte, die sich als Kreativstandorte positionieren wollen, idealtypisch wünschen: junge, kreative Menschen, die in der WG mit wenigen Mitteln neue Produktideen aushecken und daraus erfolgreiche Unternehmen entwickeln.
Die Freitag-Tasche bietet nicht zuletzt Platz für Utensilien, die dem Bobo gerne zugeschrieben werden: Manche Taschenlinien haben zum Beispiel eigene Fächer für das MacBook und das I-Phone – Arbeitsutensilien also, die ebenfalls als klassische Bobo-Utensilien gelten.
In der Freitag-Tasche spiegelt sich auch ein gewisser Trend, dass der moderne Stadtnomade im Alltag tendenziell immer mehr mitschleppt, was auch viel damit zu tun hat, dass Arbeitszeit und Freizeitgestaltung immer stärker ineinanderfließen. Man steckt den Laptop ein, weil man ja vielleicht zwischendurch eine Stunde zum Arbeiten kommen könnte, auch wenn man ihn vielleicht einen ganzen Tag gar nicht verwendet. Neuere Freitag-Modelle haben zum Beispiel eigene Fächer für Mac-Book und I-Phone und tragen so dem Trend Rechnung, dass wir immer mehr elektronische Geräte mit uns herumtragen.
Die Firma Freitag arbeitet auch von ihrer Werbesprache und von ihren Marketingaktivitäten stark am Image des Lifestyleprodukts für den unabhängigen, individuellen, freigeistigen Stadtbewohner mit und geht geschickte Kooperationen ein.
Was macht die Freitag-Tasche für die Sammlung eines Stadtmuseums interessant?
Die Freitag-Tasche ist im Stadtbild Wiens seit Ende der 1990er Jahre präsent und hat – wie in anderen Ländern – auch hierzulande viele Nachahmungsprodukte gefunden, sie wurde quasi zum Prototyp der Umhängetasche der 2000er Jahre schlechthin. In vielen Lifestyle-Magazinen und Stadtzeitungen gilt sie als das typische Accessoire von urbanen Kreativarbeitern in den 2000er Jahren; die Wiener Stadtzeitung „Falter“ hat sie auch wenig schmeichelhaft als die klassische Bobo-Tasche beschrieben, also als Tasche der sog. „Bourgeois Bohémiens“. Sie steht aber auch für einen verstärkten Trend zum Radfahren in der Stadt, den man in den letzten 10, 15 Jahren sicher ausmachen kann. Außerdem für eine stärkere Auseinandersetzung mit Recycling bzw. Upcycling im Produktdesign (Upcycling: Begriff, der hierzulande in den letzten Jahren hip wird. Beim Upcycling geht es darum, dass Abfallprodukte oder nutzlos gewordene Stoffe in neuwertige, höherwertige Produkte umgewandelt werden, es also zu einer Aufwertung der ursprünglichen Stoffe kommt.)
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