"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Montag, 29. Juli 2013

FOTOSACHE NR. 19: Bikini - viel Aufsehen, wenig Stoff



© Archiv Susanne Breuss


Genau 20 Jahre nachdem am 5. Juli 1946 in Paris Louis Réard seinen als „Bikini“ bezeichneten Badezweiteiler der staunenden Weltöffentlichkeit präsentierte, posierte eine junge Wienerin in einem rosa-weiß gemusterten Bikini mit dazu passender Hemdjacke vor der Kamera. Schauplatz: Sirmione in Italien. Anlass: Sommerurlaub 1966. Es ist nicht anzunehmen, dass sich die junge Dame in diesem Moment darüber im Klaren war, dass sie dem Bikini anlässlich seines runden Geburtstages quasi eine Reverenz erwies. Doch der Kommentar, den sie später im Fotoalbum über der Aufnahme verfasst hat, lässt vermuten, dass sie dieses Kleidungsstück durchaus bewusst trug. „Bin ich nicht gut?“ heißt es da recht keck, und die Bikini-Pose, auf die sich diese Frage bezieht, ist ganz offensichtlich den unzähligen seit 1946 zirkulierenden Vorbildern abgeschaut.
Als Réard vor 60 Jahren mit sehr wenig Stoff sehr viel Aufsehen erregte, galt der Bikini als etwas sensationell Neues. Die aggressive Vermarktungsstrategie profitierte nicht zuletzt von der sehr geschickten Namensgebung. Kurz zuvor war das zu den Marshall-Inseln gehörende Südsee-Atoll Bikini als nukleares Testgebiet in die Schlagzeilen geraten. Mit der Wucht einer Atombombe sollte nach dem Wunsch seines Schöpfers auch der textile Bikini einschlagen und die Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehen. In Wirklichkeit war der Zweiteiler gar nicht neu, denn er besaß zum Teil sehr weit in die Geschichte zurückreichende Vorläufer. Neu war jedoch, dass er mit derart wenig Stoff auskam und die weiblichen Körperformen ausdrücklich betonte, ja zur Schau stellte. Diese Erotisierung eines ursprünglich eher praktischen Kleidungsstückes mobilisierte nicht nur die Sittenwächter. Es führte auch dazu, dass der Bikini zunächst weniger als Badebekleidung, sondern eher als Outfit von Filmsternchen und Revuegirls diente. Zahlreiche Bikinistars bevölkerten in den folgenden Jahren die Illustrierten- und Filmwelt: von Rita Hayworth und Jayne Mansfield über Brigitte Bardot bis hin zu Ursula Andress und diversen namenlosen Pin-up-Girls.
Erst in den 1960er Jahren mutierte der Bikini allmählich zu einer „normalen“ Schwimm- und Strandbekleidung. Aber auch damals konnte es in konservativ-prüden Gegenden noch passieren, dass Bikini tragenden Frauen ein liederlicher Lebenswandel angedichtet wurde. Jedenfalls hatte der Bikini noch immer einen Hauch des Verruchten. Die hier abgebildete Urlaubsfotografie vermittelt noch eine Ahnung davon - obwohl dieser Bikini eher züchtige Dimensionen besitzt.


Dieser Text erschien erstmals als:
Susanne Breuss: Viel Aufsehen, wenig Stoff (= Fotoglosse „schwarz & weiß“), in: Wiener Zeitung Extra, 5.8.2006, S. 2.


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