"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Donnerstag, 24. Juli 2014

ANSICHTSSACHE NR. 63: Gestickte Moral


Noch bis 8. Februar 2015 im Frauenmuseum Hittisau in Vorarlberg zu sehen: eine Ausstellung zum Thema "Gestickte Moral. Spruchtücher zwischen Tradition, Rollenzuschreibung und Illusion".

Ankündigungstext:

Eine Ausstellung mit einer künstlerischen Intervention von Beate Luger-Goyer und Werken von Flurina Badel, Kathrin Haller, Renate Hinterkörner, A.M. Jehle, Christine Lederer, Christine Pavlic, Carmen Pfanner, Maria Stockner und Zsófi Pittmann.

„Eine besondere Krankheit des guten Geschmacks ist die Manie, alles mit Sprüchen zu verzieren!", klagte eine Hausfrauenzeitschrift im Jahr 1905. Gestickte Wünsche, Lebensweisheiten, Handlungsmaximen und Sinnsprüche waren in fast jedem Haushalt zu finden. In Küche und Stube, Schlafzimmer und Wäschekammer gaben sieden BewohnerInnen sinnige, religiöse, moralisch belehrende aber auch ironisch-subversive Weisheiten mit auf den Weg. Ihre Blütezeit erlebten gestickte Spruchtücher zwischen 1870 und 1930. In den Küchen vieler Haushalte waren sie aber noch bis in die 1950er Jahre hinein zu finden. Nach den Weltausstellungen der Gründerzeit vom Bürgertum in Mode gebracht, hielten sinnreich bestickte Textilien bald auch in bäuerlichen, kleinbürgerlichen und proletarischen Haushalten Einzug.
Für die Ausstellung hat das Frauenmuseum Hittisau hunderte Spruchtücher gesammelt - darunter auch von Migrantinnen mitgebrachte Tücher in kroatischer, italienischer, tschechischer oder ungarischer Sprache.
Die (doppel-)moralischen Appelle und Ermahnungen zu Fleiß, Frömmigkeit und Sparsamkeit sind aufschlussreiche kultur- und frauenhistorische Dokumente und erzählen von Rollenfestschreibungen, Wertvorstellungen, Disziplinierungsstrategien und menschlichen Beziehungen als Wunschbild, Realität oder Bürde.

Rollenfestschreibungen und Illusion

Spruchtücher spiegeln in ihren Gestaltungselementen die Strömungen des Zeitgeschmacks wider. In ihrer Funktion sollen sie schonen, verdecken, schmücken, ordnen. In ihrer Aussage sind gestickte Spruchtücher Belege für das Frauenbild ihrer Entstehungszeit. Sie geben Einblick in die Lebensrealität der meisten Frauen, deren Fokus ausschließlich auf Küche, Haushalt und Familie liegen durfte. Die häufig im Imperativ abgefassten Leitsätze wenden sich so gut wie ausschließlich an eine Frau in ihrer Rolle als Ehefrau, Mutter und Hausfrau.
Die Botschaften sind vielfältig. Sie reichen von Aufforderung, die eigene Mutter zu ehren („Was Mütterlein mir einst beschert, Halt' ich in diesem Schranke wert, Soll glatt und fein geordnet sein, Wie's einstens hielt mein Mütterlein.“) bis zu mahnenden Imperativen über die Pflichten als Hausfrau („Merk es Köchin Dir genau, Hälst Ordnung Du ist gut die Frau.“), von der herzzerreißenden Dokumentation einer kriegsbedingten Trennung („Abschied des Reservisten“) bis zum Aufruf zur Selbstaufgabe („Bist du Amboß, sei geduldig, Bist du Hammer, schlage zu.“).
Viele Spruchtücher haben einen augenzwinkernd-subversiven Unterton („So sanft wie ein Lämmlein wünsche ich mir mein Männlein“ oder „Ohne Glück und Gunst ist Kunst umsunst!“, andere – wenn auch seltener zu finden – sind Ausdruck politischer Überzeugungen, wenn sie etwa Engelbert Dollfuß mit dem Kruckenkreuz oder Kronprinz Rudolf abbilden.


Nähere Infos hier.


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