"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Mittwoch, 15. Januar 2014

ANSICHTSSACHE NR. 48: Fotofehler



Fehlerhafte Fotos kennen wohl alle, die jemals eine Kamera benutzt haben. Was als Fehler definiert wird, hängt von ästhetischen, technischen und sozialen Fragen ab, die sich je nach Kontext unterschiedlich stellen. Ein interessantes Phänomen ist, dass speziell beim Gebrauch digitaler Profikameras technische Fehler auftreten können, die unbeabsichtigte und überraschende Bildwirkungen erzeugen. Peter Kainz zeigt solche Bilder noch bis 25. Jänner 2013 in der Wiener Galerie artmark in seiner Ausstellung "Fotofehler".

Hier die Rede von Frauke Kreutler zur Ausstellungseröffnung vergangene Woche:

Peter Kainz ist Lithograf, Offsetmontierer und Fotograf. Er hat ein Masterstudium der Bildwissenschaft und Fotografie an der Universität Krems absolviert und er gehört zu den ersten Fotografen in Österreich, die sich mit der digitalen Fotografie bereits 1995 professionell auseinandersetzten. Daher war er auch von 1995-2008 Lektor für digitale Technologien und Reproduktionstechniken an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Zusammen mit seiner Frau Birgit Kainz betreibt er das Fotoatelier faksimile digital und spezialisierte sich dabei auch schon sehr früh auf die digitale Erfassung von Kunstwerken sowie die Fotografie im Kunst- und Museumsbereich. 

Wenn neben der beruflichen Tätigkeit als Fotograf/in noch Zeit bleibt, beschäftigen sich Peter und Birgit Kainz noch künstlerisch mit dem Medium der Fotografie. Neben ihrer mittlerweile jährlichen künstlerischen Intervention HUMAN gab es bereits 2009 die ersten Fotofehler in Form eines Katalogs zu betrachten.
Der hier kurz skizzierte Lebenslauf als einer der federführenden Spezialisten im Bereich der digitalen Fotografie und die Ausstellung mit dem Titel „Fotofehler“ erscheinen doch etwas gegensätzlich, zeigt doch Peter Kainz Fotos von Verarbeitungsfehlern seiner digitalen Kamera. Nicht Gegenständliches ist zu erkennen wie wir es üblicherweise von Fotografien gewohnt sind. Zu sehen sind bunte Pixel, farbige Flächen, Verwischungen. 


Doch die Geschichte der Fotografie seit ihren Anfängen um 1839 ist auch immer eine Geschichte des Scheiterns, wie der Fotohistoriker Peter Geimer ausführlich beschreibt. Seit den ersten fotografischen Verfahren hatte man es immer mit Materialien zu tun, deren chemische Aktivität weder vorhersehbar noch gänzlich kontrollierbar war. Die Berichte über entstandene „Misserfolge“ bzw. „Fehler“ bringen auch zum Ausdruck, dass bei der Erzeugung des fotografischen Bildes immer mit der Eigendynamik des Instrumentariums zu rechnen ist. 
Das Erstaunen über das misslungene Ergebnis war nicht immer mit der persönlichen Ungeschicklichkeit zu erklären, sondern man führte es auch immer wieder dem Zufall zu. Dem Fehler ist die menschliche Urheberschaft also nicht oder nicht eindeutig anzusehen.

Daniel Kehlmann beschreibt in seinem Roman „Die Vermessung der Welt“ ein fiktives Treffen zwischen Carl Friedrich Gauß und Alexander von Humbold, welches vom Erfinder der Fotografie Louis Jacques Mandé Daguerre auf einer Fotoplatte festgehalten wurde:


Und wirklich: Als Humbold noch in derselben Nacht, während Gauß im Nebenzimmer so laut schnarchte, dass man es in der Wohnung hörte, die belichtete Kupferplatte mit einer Lupe untersuchte, erkannte er darauf gar nichts. Und erst nach einer Weile schien ihm ein Gewirr gespenstischer Umrisse darin aufzutauchen, die verschwommene Zeichnung von etwas, das aussah wie eine Landschaft unter Wasser. Mitten darin eine Hand, drei Schuhe, eine Schulter, der Ärmelaufschlag einer Uniform und der untere Teil eines Ohres. Oder doch nicht? Seufzend warf er die Platte aus dem Fenster und hörte sie dumpf auf den Boden des Hofes aufschlagen. Sekunden später hatte er sie, wie alles, was ihm je misslungen war, vergessen.


Kehlmann erfasst das Schicksal der meisten fotografischen Unfälle treffend. Niemand braucht sie, niemand vermisst sie, für Museen sind sie in der Regel nicht von Interesse – außer ein Künstler oder eine Künstlerin hat sie zum Bestandteil seines oder ihres künstlerischen Oeuvres ernannt und ästhetisch umgewertet. So auch Peter Kainz mit seinen „Fotofehlern“. Die Flecken und Pixel können ausschließlich als Fehler bzw. Störungen gesehen werden. Die „Fotofehler“ machen aber gerade in ihrer Fehlerhaftigkeit, in ihrem „Nicht-Funktionieren“ als Fotografie, die Medialität der Fotografie als ein Bild der Technik sichtbar, welche in der fehlerfreien Fotografie unsichtbar geblieben wäre. Gerade im Medium der Fotografie wird vermeintlich die Wirklichkeit abgebildet. Aber erst mit dem Auftreten eines Fehlers wird das Medium selbst, der technische Ablauf dahinter sichtbar und somit die Ambivalenz zwischen Realität und Konstrukt erkennbar.



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