"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Dienstag, 25. November 2014

ANSICHTSSACHE NR. 70: Ausstellung und Interview über das Bayerische Kochbuch von und mit Regina Frisch


Quelle



Im bayerischen Miesbach ist noch bis 23. Dezember 2014 (Aktualisierung: Verlängerung bis 13. Februar 2015!) eine Ausstellung über die Geschichte des um 1910 erstmals erschienenen Bayerischen Kochbuches zu sehen (nähere Infos hier).

Die Kuratorin der Ausstellung, die Sprachwissenschaftlerin und Informationsdesignerin Regina Frisch (vgl. auch ihre Website ResteFerwertung), hat für diesen Blog einige Fragen zu ihrer Ausstellung und zu ihren Kochbuchforschungen beantwortet:
 

Wie ist die Idee zu dieser Ausstellung entstanden?
Seit 2009 befasse ich mich mit dem Thema Das 'Bayerische Kochbuch' als Quelle der Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts und sammle Auflagen des Kochbuchs. Die Bücher stehen in meiner Bibliothek und entwickelten zunehmend einen ästhetischen Reiz. Da lag die Idee nahe, sie auszustellen. Außerdem schreibe ich an einer Publikation zu dem Thema und fand es sehr hilfreich, einzelne Themenbereiche in wenigen Sätzen zusammenfassen zu müssen. Sie runterzubrechen auf ein Vitrinenformat. 


Was macht das Bayerische Kochbuch so interessant und warum ist es nach wie vor so beliebt?

Für mich ist es interessant, weil es seit über 100 Jahren unter recht konstanten Bedingungen erscheint und die Veränderungen nicht z.B. auf Verlagswechsel zurückzuführen sind, sondern Zeitgeschehen, -geschmack, etc. abbilden.
Für seine Beliebtheit gibt es verschiedene Gründe. Zum einen ist es als Lehrbuch entstanden und wird als solches noch heute an bayerischen Schulen eingesetzt. Da mit dem Lehrbuch gearbeitet wird, kann es sich Schlamperein wie fehlende Zutaten nicht erlauben. Dem Lehrbuch ist auch die benutzerfreundliche Rezeptkategorie Grundrezept zuzuschreiben. Deshalb wird es von Generation zu Generation immer wieder verschenkt zu Hochzeiten oder anderen Anlässen. Voraussetzung für die Aufrechterhaltung dieser Tradition ist eine inhaltliche und formale Konstanz: Das Kochbuch wird modernisiert, aber moderat. Die Wiedererkennung ist gewährleistet.

 

Wie hat es sich seit seinem ersten Erscheinen verändert?
Zum einen das Erscheinungsbild: Erst grünbraun (bis 1931), dann gelb (bis 1969), ab 1971 blau. Mit dem Farbwechsel ging immer auch ein Formatwechsel einher.
Eine sehr wichtige Veränderung ist der Titel: Bis 1931 heißt es 'Kochbuch des Bayerischen Vereins für wirtschaftliche Frauenschulen auf dem Lande', ab 1933 wird es namentlich von Maria Hofmann bearbeitet und erscheint unter dem neuen Titel 'Bayerisches Kochbuch'.
Inhaltlich könnte ich viel zu Veränderungen sagen, ich nenne hier zwei Beobachtungen: Über die Jahrzehnte hinweg wird das Kochbuch immer dicker, weil neue Rezepte aufgenommen und die Zubereitungstexte länger werden. Und ein spezielles sprachliches Phänomen: Die 10. Auflage 1927 markiert den Übergang zum Infinitiv in den Handlungsanweisungen der Rezepte. Bis zu dieser Auflage heißt der erste Satz des Rezepts für Saure Leber 'Leber wird gewaschen, gehäutet, in 1/2 cm dicke nicht zu große Scheiben geschnitten', ab 1927 lautet er 'Leber waschen, häuten, in 1/4 cm dicke Streifen schneiden'. Die heute übliche Form.

 

Was gibt es in der Ausstellung außer Kochbüchern sonst noch zu sehen?
Die Ausstellung ist thematisch aufgebaut: Lehrbuch, Politik, Design, Bayerische Küche, Ernährungslehre, Technikgeschichte. Viele Exponate stammen aus dem Archiv des BSZ-Schulzentrums Miesbach, Frauenschulstraße 1. (ehemals Wirtschaftliche Frauenschule), z.B. eine sogenannte Maidentracht, ein Schulprospekt aus den 30er Jahren in dem nach 1945 die nationalsozialistischen Passagen mit Blei gestrichen wurden, und weitere Exponate, die die Themen veranschaulichen. Die Entwicklung der Küchentechnik zeigen u.a. ein historisches Küchenbeil, Kochkiste und Eismaschine aus den 30er Jahren. 


Ihr persönliches Lieblingsexponat in der Ausstellung?
Da gibt es einige 'Lieblinge'. Ich nenne das Exemplar der 3. Auflage von 1916. Es ist in sehr schlechtem Zustand. Der Buchrücken fehlt, auf den vom Verlag für Notizen vorgesehenen Seiten zwischen Rezeptteil und Register sind zahlreiche Rezepte handschriftlich eingetragen. Das Büchlein macht einen sehr gebrauchten Eindruck. Bei genauer Betrachtung stellt sich heraus: Die Rezeptseiten sind nahezu unbenutzt, kaum aufgeschlagen. Es wurde offensichtlich als Notizkochbuch verwendet für mündlich tradierte Rezepte.
 

Wie sind Sie zur Kochbuchforschung gekommen und welche konkreten Forschungsinteressen verfolgen Sie damit?
Kochrezepte sind eine interessante Textsorte. Mich haben schon lange die Rezepte im BK interessiert, weil sie so sorgfältig formuliert sind. Als ich mir für den persönlichen Gebrauch eine neue Auflage gekauft habe, bemerkte ich Veränderungen, z.B. das neu sortierte Register. Ein weiteres antiquarisch erstandenes Exemplar einer Auflage aus den 30er Jahren genügte, um das Feuer zu legen.
Mein Forschungsinteresse ist, am Beispiel der Auflagengeschichte eines Kochbuchs Kulturgeschichte zu erzählen. 


Beschäftigen Sie sich dabei nur mit der Textebene oder auch mit der Materialität der Kochbücher?

Das anfängliche Interesse galt bestimmten Texten: ausgewählten Rezepten, dem Register, den Inhaltsverzeichnissen und den Vorworten. Mit der Zeit hat der Gegenstand den Fokus deutlich erweitert. Die Geschichte des herausgebenden Vereins, der beteiligten Personen, etc. kamen hinzu. Und auch die Materialität der Bücher, siehe Lieblingsexemplar. Die Bücher sind in sehr unterschiedlichem Zustand und zeugen von Gebrauch - oder auch nicht. Leider werden in der Regel nur gut bis sehr gut erhaltene antiquarisch angeboten. Aber ich habe dennoch aussagekräftige Gebrauchspuren gefunden. Das Kochbuch wurde z.B. verwendet als Notizkochbuch, für Schreibübungen, als Aufbewahrungsort für Rezepte aus Kalendern, etc.


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