"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Sonntag, 16. Februar 2014

TERMINSACHE NR. 57: Dominanz durch Dinge?



In Berlin findet vom 27. Februar bis 1. März 2014 eine Tagung zum Thema "Dominanz durch Dinge? Zum Verhältnis von sozialen Asymmetrien und Materialitäten aus historischer Perspektive" statt.  Veranstalter ist der Arbeitskreis Geschichte + Theorie, der schon seit einiger Zeit einen Schwerpunkt auf die Geschichte der Dinge legt. Nähere Infos und Programm hier.


Ankündigungstext:

„Die Dominanz braucht das Ding“, schreibt Bruno Latour, denn „ohne Ding ist es schwer, soziale Dominanz herzustellen“. Demnach ist es nicht allein die Beziehung zwischen Menschen, sondern jene zwischen Menschen und Dingen, die soziale Hierarchien produziert. Doch wie genau sich Macht und Materielles zueinander verhalten, ist keineswegs klar: Dass etwa das Korsett, der Chefsessel oder das Rote Telefon etwas über Einfluss und soziale Stellung aussagen, ist offensichtlich. Aber verweisen diese Dinge nur auf soziale Unterschiede oder stellen sie diese auch her? Dass das Verkehrsnetz nicht allen den gleichen Zugang zu Arbeit, Informationen und Konsum verschafft, ist ebenfalls nicht neu – aber inwiefern hängen diese Dynamiken mit der Dinglichkeit des Netzes selbst zusammen? Und wie dicht muss man an die Dinge heran, um zu verstehen, wie sie Handlungen, Deutungen und Erfahrungen beschränken, stimulieren oder produzieren? Inwiefern schließlich hängen wechselnde Gesellschaftsordnungen mit wandelnden Dingarrangements zusammen: das Zeitalter der Angestellten mit der Schreibmaschine, das des Fordismus mit dem Fließband?

Diese Fragen greifen zwei konträre Positionen innerhalb der Soziologie auf. Folgt man den klassischen Überlegungen Pierre Bourdieus zum Verhältnis von Kultur und sozialer Ungleichheit, dann spiegelt die Verfügung über bestimmte Dinge (wo wohne ich, was esse ich, mit was verbringe ich meine Freizeit) die Stellung der Akteure im sozialen Raum und deren Anspruch auf Distinktion. Die Ordnung der Dinge repräsentiert das Soziale, indem die Vorliebe für bestimmte Dinge den sozialen Status von Akteuren festigt. Dinge erscheinen aus dieser Perspektive vor allem als Ergebnis diskursiver Praktiken, die dem Materiellen äußerlich bleiben. Die jüngere Soziologie Bruno Latours betrachtet das Materielle dagegen nicht allein als passives Objekt von Deutungs- und Distinktionskämpfen. Vielmehr schreibt Latour Dingen eine gewisse Agency zu. Das eröffnet produktive Perspektiven, schafft aber auch Probleme. Denn nach Latour wird Dominanz zwar durch Dinge auch stabilisiert, untersuchen lassen sich Mensch-Ding-Verhältnisse aber immer nur situativ, im Prozess ihrer Herstellung. Vermutlich spielt soziale Ungleichheit auch deshalb als Thema in der boomenden Literatur über Dinge, die Akteur-Netzwerk-Theorie oder den „material turn“ kaum eine Rolle. Allenfalls am Rande, etwa in der anglo-amerikanischen Forschung zu „environmental justice“ oder der geschlechterhistorisch informierten Konsumforschung, scheint das Problem der Ungleichheit auf.

An dieser Leerstelle setzt die Tagung an, die anhand der europäischen und außereuropäischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts nach dem Verhältnis von sozialen Asymmetrien und Materialitäten fragt. Die konventionelle Annahme, dass es in erster Linie die symbolische Dimension der Dinge und ihre Überformung durch Diskurse ist, die Ungleichheiten stabilisiert, greift zu kurz. Was eine Wohngegend zu einer besseren Wohngegend macht, ist unter Umstände eben auch die größere Entfernung zur nächsten Mülldeponie, die weniger verschmutzte Luft oder bessere Infrastruktur. Die Tagung geht daher von der gegenteiligen Hypothese aus, dass es gerade die spezifische Materialität der Räume und Dinge ist, die Handlungsmacht herstellt. Zugleich wird die klassische, aber auch voraussetzungsreiche Formel der „sozialen Ungleichheit“ durch den offeneren Begriff der sozialen Asymmetrien ersetzt, der weniger normativ und nicht a priori an eine soziologische Tradition der Gesellschaftsbeschreibung gekoppelt ist. Asymmetrien, das können ebenso Machtasymmetrien sein wie damit die ungleiche Verfügung über Handlungsmöglichkeiten und Ressourcen gemeint sein kann. Vor diesem Hintergrund lässt sich dann fragen: Auf welche Dinge stützt sich Macht, wie genau werden Asymmetrien materialisiert oder durch Dinge konstituiert? Wie lassen sich durch Dinge konstituierte Asymmetrien untersuchen? Kann eine an Bruno Latour geschulte historische Analyse etwas für die Geschichte sozialer Ungleichheit leisten, ohne soziale Ungleichheit als Gegenstand zu pulverisieren?



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