Archiv Susanne Breuss |
Kinderfasching um 1970. Ein Erinnerungsfoto, das zeitspezifische Ausprägungen von Faschingsbrauchtum
ebenso zum Ausdruck bringt wie Jahrhunderte alte Traditionen.
Als Zeit der Maskerade bietet der Fasching seit alters her Möglichkeiten
zum Rollentausch, zum Experimentieren mit fremden Identitäten. Indem seine Entwicklungsgeschichte
eng mit der nachfolgenden Fastenzeit verknüpft ist, offenbart sich hier sein christlicher
Kern. Während die Fastenzeit als eine Übung bzw. als ein Weg verstanden wird, in der am Erstarken des „Reiches Gottes“ gearbeitet werden
soll, bietet der Fasching als „verkehrte Welt“ die Gelegenheit, für kurze Zeit den „Narren“ zu spielen – gemäß der Devise: an sich selbst
erfahren, wie töricht närrisches Verhalten ist, um danach geläutert den
richtigen Weg einzuschlagen.
Die Kostüme der hier abgebildeten Kinder verkörpern einige
typische Vertreter solcher imaginierter Gegenwelten. Der Harlekin links knüpft an die Tradition der Narrenfiguren im engeren Sinne an. Die beiden
Kinder in der Bildmitte sind – im Falle des Mädchens in eigenwilliger
Zusammenstellung – als Cowboy und Indianer verkleidet. Heute kaum noch präsent,
zählten diese Kostüme von den 1950er bis in die 1970er Jahre zu den beliebtesten Verkleidungen. Ihre
Popularität verdankten sie der damals intensiven Karl May-Rezeption. Besonders
die in den 60er Jahren produzierten Filme rund um Old Shatterhand und Winnetou
erreichten zunächst im Kino und später im Fernsehen ein Massenpublikum und
beeinflussten auch kindliche Verkleidungswünsche.
Rechts im Bild sitzt ein Kind in einer stilisierten
Russen- oder Tatarentracht als ein weiteres Beispiel für die Darstellung fremder
Völker, welche schon sehr früh ein zentrales Element von Faschingsbrauchtum
war. Auch hier zeigen sich religiöse Hintergründe, denn bereits vor Jahrhunderten waren Faschingsfiguren populär, die auf – negativ
bewertete – nicht-christliche Kulturkreise verwiesen. Zu deren Repräsentanten zählten
„unzivilisierte Wilde“, „Mohren“ oder „Zigeuner“ ebenso wie Türken, Chinesen,
Japaner oder Indianer.
Dieser Text erschien erstmals als:
Susanne Breuss: Kindliche Gegenwelten (= Fotoglosse "schwarz & weiß"). In: Wiener Zeitung Extra, 11./12. Februar 2012, S. 11.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen