"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Montag, 3. März 2014

FOTOSACHE NR. 28: Faschingsverkleidungen



Archiv Susanne Breuss


Kinderfasching um 1970. Ein Erinnerungsfoto, das zeitspezifische Ausprägungen von Faschingsbrauchtum ebenso zum Ausdruck bringt wie Jahrhunderte alte Traditionen.
Als Zeit der Maskerade bietet der Fasching seit alters her Möglichkeiten zum Rollentausch, zum Experimentieren mit fremden Identitäten. Indem seine Entwicklungsgeschichte eng mit der nachfolgenden Fastenzeit verknüpft ist, offenbart sich hier sein christlicher Kern. Während die Fastenzeit als eine Übung bzw. als ein Weg verstanden wird, in der am Erstarken des „Reiches Gottes“ gearbeitet werden soll, bietet der Fasching als „verkehrte Welt“ die Gelegenheit, für kurze Zeit den „Narren“ zu spielen – gemäß der Devise: an sich selbst erfahren, wie töricht närrisches Verhalten ist, um danach geläutert den richtigen Weg einzuschlagen.
Die Kostüme der hier abgebildeten Kinder verkörpern einige typische Vertreter solcher imaginierter Gegenwelten. Der Harlekin links knüpft an die Tradition der Narrenfiguren im engeren Sinne an. Die beiden Kinder in der Bildmitte sind – im Falle des Mädchens in eigenwilliger Zusammenstellung – als Cowboy und Indianer verkleidet. Heute kaum noch präsent, zählten diese Kostüme von den 1950er bis in die 1970er Jahre zu den beliebtesten Verkleidungen. Ihre Popularität verdankten sie der damals intensiven Karl May-Rezeption. Besonders die in den 60er Jahren produzierten Filme rund um Old Shatterhand und Winnetou erreichten zunächst im Kino und später im Fernsehen ein Massenpublikum und beeinflussten auch kindliche Verkleidungswünsche.    
Rechts im Bild sitzt ein Kind in einer stilisierten Russen- oder Tatarentracht als ein weiteres Beispiel für die Darstellung fremder Völker, welche schon sehr früh ein zentrales Element von Faschingsbrauchtum war. Auch hier zeigen sich religiöse Hintergründe, denn bereits vor Jahrhunderten waren Faschingsfiguren populär, die auf – negativ bewertete – nicht-christliche Kulturkreise verwiesen. Zu deren Repräsentanten zählten „unzivilisierte Wilde“, „Mohren“ oder „Zigeuner“ ebenso wie Türken, Chinesen, Japaner oder Indianer. 

Dieser Text erschien erstmals als:
Susanne Breuss: Kindliche Gegenwelten (= Fotoglosse "schwarz & weiß"). In: Wiener Zeitung Extra, 11./12. Februar 2012, S. 11.



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