"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Samstag, 30. März 2013

FOTOSACHE NR. 10: Der Osterhase beim Fotografen




© Archiv Susanne Breuss


Ein Bub namens Fritz, fotografiert vermutlich zu Beginn der 1930er Jahre. Anlass der Aufnahme: das Osterfest, wie der zweite Hauptdarsteller der Szene, ein Hase, sowie ein verziertes Osterei verraten. 

Hasen und Eier gelten heute als nahezu unvermeidbare Accessoires und wichtige Symbole für Ostern. Während österliches Eierbrauchtum bis ins frühe Christentum zurück reicht und religiöse Wurzeln aufzuweisen hat, trat der Osterhase als Eierbringer erst in der Zwischenkriegszeit allgemein in Erscheinung. Über seine Herkunft gibt es verschiedene Theorien, als die plausibelste gilt jene, die ihn als eine evangelische Erfindung sieht.
Obwohl die katholischen Eierbräuche seitens der evangelischen Christen immer wieder bespöttelt und kritisiert worden waren, konnten sie sich vor etwa 200 Jahren im evangelischen städtischen Bürgertum durchsetzen – als Teil einer säkularisierten und familiären Festinszenierung. Die bunt bemalten und verzierten Eier, die die Eltern für ihre Kinder versteckten und die diese suchen mussten, wurden offiziell vom Osterhasen gebracht. Ähnlich wie das Christkind oder der Weihnachtsmann wurde er als Geschenkbringer, der die Funktion der Eltern als Schenkende verdecken sollte, eingesetzt. Hasen als Schenkfiguren konnte man aber offensichtlich nur den der Natur entfremdeten Stadtkindern glaubhaft machen, im ländlich-bäuerlichen Bereich konnte der Brauch lange nicht Fuß fassen.  
Überkonfessionelle und allgemeine Verbreitung erlangte der Osterhase nicht zuletzt durch die Süßwarenindustrie und durch Kinderbücher und Postkarten. Auf diese Weise trug er wesentlich zur Entwicklung von Ostern als Schenk- und Konsumfest bei. 

Die vollständige Fassung dieses Textes erschien als:
Susanne Breuss: Inszenierung für Stadtkinder (= Fotoglosse schwarz & weiß). In: Wiener Zeitung Extra, 23./24. April 2011, S. 11.
 

Freitag, 29. März 2013

TERMINSACHE NR. 25: Gelehrte Objekte


Gelehrte_Objekte_9 | Institut für Europäische Ethnologie | Foto: Viktor Brázdil
Institut für Europäische Ethnologie, Foto: Viktor Brázdil
Meiner Einschätzung nach ist das mein ehemaliger 
Studienkollege Herbert Nikitsch bei der Arbeit am
Objekt - es könnte sich aber auch um eine 
"One Minute Sculpture" von Erwin Wurm handeln...


Ausstellungseröffnung:

Gelehrte Objekte? - Wege zum Wissen
Aus den Sammlungen der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien
Ausstellungsdauer: 11. April – 27. Oktober 2013

Eröffnung: Mittwoch, 10. April 2013, 18.30 Uhr
Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien 


Aus dem Ankündigungstext: 

Universitäre Sammlungen geraten zunehmend in den Blick der Öffentlichkeit. Im Unterschied zu den in Museen eingelagerten Objekten handelt es sich dabei zumeist um Resultate aus Forschungsprozessen und Vermittlungsarbeit.
Diese Ausstellung versammelt erstmals eine Auswahl der Bestände der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. „Popstars" der lebensgeschichtlichen Aufzeichnungen, 5000 Jahre alte Äxte, epische Haushaltsbücher, ägyptische Scheingefäße, griechische Spielfilme, papierene Abklatsche, Apollonköpfe, persönliche Nachlässe, sexistisches Stroh, professorale Klocks, kybernetische Dias, die „Welt Allg." und vieles mehr - sie alle bilden den Kosmos wissenschaftlichen Arbeitens.
Unterschiedlichste Beiträge aus den Fächern Ägyptologie, Alte Geschichte, Byzantinistik und Neogräzistik, Europäische Eth-nologie, Geschichte, Klassische Archäologie, Kunstgeschichte, Numismatik und Geldgeschichte, Ur- und Frühgeschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie Zeitgeschichte bieten faszinierende Einblicke.
Ein Projekt des Volkskundemuseums und der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien und drei Gesprächsstationen („Kabinett für Imaginationen") von Science Communications Research.


Donnerstag, 28. März 2013

HÖRSACHE NR. 19: Der Einzug des Fernsehers in die österreichischen Wohnzimmer


© Technisches Museum Wien


Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden. 

Am 25. März 2013 begab sich die Sendung in das Jahr 1963 und beschäftigte sich mit dem Einzug des Fernsehers in die österreichischen Wohnzimmer (Interview mit Wolfgang Pensold).

Während in den fünfziger Jahren aufgrund der noch sehr hohen Preise die meisten nur im Wirtshaus oder in der Auslage der Elektrogerätehändler in den Genuss des Fernsehens kamen, gelangten die Geräte ab den sechziger Jahren vermehrt in die Privathaushalte - wo sie sich in den nachfolgenden Jahrzehnten einen prominenten Platz im Wohnzimmer erobern sollten. 1963 stand bereits in 400.000 österreichischen Haushalten ein Fernsehgerät.

Website "Zum Greifen nah"
Zum Nachhören 

Mittwoch, 27. März 2013

TERMINSACHE NR. 24: Dinge als Kulturvermittler


Tagung:

Ding, ding, ting: Dinge als Kulturvermittler. Deutscher, niederländischer und nordischer Sprachraum
11.-13. April 2013
Paris, Cité International Universitaire

Sektionen:

Der Umgang mit den Dingen: Kunst-Werden, Vermarktung, Instrumentalisierung
Nennen, erzählen, theoretisieren: Diskurse über Dinge in der Literatur, der Museumskunde, den Wissenschaften und der Politik
Zirkulation von Wissen und/durch Gegenstände(n)
Konstruktion und Dekonstruktion der Alterität

Programm

Sonntag, 24. März 2013

FUNDSACHE NR. 14: Unzeitgemäße Dinge: Wärmflaschen




Angesichts der noch immer winterlichen Temperaturen stechen wärmende Dinge besonders ins Auge - wie diese Wärmflasche in einer Werbeanzeige aus dem Jahr 1925. 
Man möchte ausrufen: "Worauf wartest Du noch, Frühling???"


Freitag, 22. März 2013

TERMINSACHE NR. 23: Installationen des Alltags Fotografien von Severin Koller



image
© Severin Koller


Ausstellungseröffnung:

Severin Koller - Installationen des Alltags
Eigensinnig. Schauraum für Mode und Fotografie
Sankt Ulrichs Platz 4/2, 1070 Wien
Dienstag, 26. März 2013, 19-22 Uhr 

Severin Koller setzt mit seiner Kamera Objekte und Strukturen des Alltags als Installationen in Szene: Auf der Straße vorgefundene Installationen, geschaffen von Bauarbeitern, Müllmännern, Dieben oder Elektrikern.

So wie Street Fotos Hommagen an die umgeschönte Welt des Alltags sind, widmen sich die Fotos "Installationen des Alltags" Details und Konstellationen denen sonst keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die sonst unbekannte "Gold Street" in New York wird regelrecht verbildlicht, ein Fahrraddieb hinterlässt eine Spur und ein weißer Sack mit Milchpackungen wartet auf die Müllabfuhr.
Geschichten der Straße, in Form von Installationen, durch Bauarbeiter, Diebe, Elektriker und Müllmänner kreiert, nicht wie sonst von Künstlern.
Vernissage: 26. März 2013, 19:00 - 22:00 Uhr
Ausstellung: 27. März 2013 - 27. April 2013
- See more at: http://www.eigensinnig.at/Fotografie/SEVERIN-KOLLER#sthash.ukNxPRIS.dpuf
Der Fotograf Severin Koller vereint mit seinen Arbeiten künstlerische Installation und Street-Fotografie.
Street Fotos leben in der Regel von nicht inszenierten Momenten, die im richtigen Augenblick festgehalten werden und eine Geschichte des alltäglichen Lebens erzählen. Die Mystik liegt im unwiederbringlichen einer Konstellation von Mensch und seiner Umgebung, die in einem Foto verewigt ist.
Die Fotografien "Installationen des Alltags" setzen Objekte und Strukturen des Alltags als Installationen in Szene. Der Fotograf dokumentiert mit seiner Kamera unbeabsichtigte Installationen wie aufeinander gesetzte "Enzis" im Museumsquartier oder Baustellen, die mit dem Hintergrund eine optische Beziehung eingehen.
So wie Street Fotos Hommagen an die umgeschönte Welt des Alltags sind, widmen sich die Fotos "Installationen des Alltags" Details und Konstellationen denen sonst keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die sonst unbekannte "Gold Street" in New York wird regelrecht verbildlicht, ein Fahrraddieb hinterlässt eine Spur und ein weißer Sack mit Milchpackungen wartet auf die Müllabfuhr.
Geschichten der Straße, in Form von Installationen, durch Bauarbeiter, Diebe, Elektriker und Müllmänner kreiert, nicht wie sonst von Künstlern.
Vernissage: 26. März 2013, 19:00 - 22:00 Uhr
Ausstellung: 27. März 2013 - 27. April 2013
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Der Fotograf Severin Koller vereint mit seinen Arbeiten künstlerische Installation und Street-Fotografie.
Street Fotos leben in der Regel von nicht inszenierten Momenten, die im richtigen Augenblick festgehalten werden und eine Geschichte des alltäglichen Lebens erzählen. Die Mystik liegt im unwiederbringlichen einer Konstellation von Mensch und seiner Umgebung, die in einem Foto verewigt ist.
Die Fotografien "Installationen des Alltags" setzen Objekte und Strukturen des Alltags als Installationen in Szene. Der Fotograf dokumentiert mit seiner Kamera unbeabsichtigte Installationen wie aufeinander gesetzte "Enzis" im Museumsquartier oder Baustellen, die mit dem Hintergrund eine optische Beziehung eingehen.
So wie Street Fotos Hommagen an die umgeschönte Welt des Alltags sind, widmen sich die Fotos "Installationen des Alltags" Details und Konstellationen denen sonst keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die sonst unbekannte "Gold Street" in New York wird regelrecht verbildlicht, ein Fahrraddieb hinterlässt eine Spur und ein weißer Sack mit Milchpackungen wartet auf die Müllabfuhr.
Geschichten der Straße, in Form von Installationen, durch Bauarbeiter, Diebe, Elektriker und Müllmänner kreiert, nicht wie sonst von Künstlern.
Vernissage: 26. März 2013, 19:00 - 22:00 Uhr
Ausstellung: 27. März 2013 - 27. April 2013
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Der Fotograf Severin Koller vereint mit seinen Arbeiten künstlerische Installation und Street-Fotografie.
Street Fotos leben in der Regel von nicht inszenierten Momenten, die im richtigen Augenblick festgehalten werden und eine Geschichte des alltäglichen Lebens erzählen. Die Mystik liegt im unwiederbringlichen einer Konstellation von Mensch und seiner Umgebung, die in einem Foto verewigt ist.
Die Fotografien "Installationen des Alltags" setzen Objekte und Strukturen des Alltags als Installationen in Szene. Der Fotograf dokumentiert mit seiner Kamera unbeabsichtigte Installationen wie aufeinander gesetzte "Enzis" im Museumsquartier oder Baustellen, die mit dem Hintergrund eine optische Beziehung eingehen.
So wie Street Fotos Hommagen an die umgeschönte Welt des Alltags sind, widmen sich die Fotos "Installationen des Alltags" Details und Konstellationen denen sonst keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die sonst unbekannte "Gold Street" in New York wird regelrecht verbildlicht, ein Fahrraddieb hinterlässt eine Spur und ein weißer Sack mit Milchpackungen wartet auf die Müllabfuhr.
Geschichten der Straße, in Form von Installationen, durch Bauarbeiter, Diebe, Elektriker und Müllmänner kreiert, nicht wie sonst von Künstlern.
Vernissage: 26. März 2013, 19:00 - 22:00 Uhr
Ausstellung: 27. März 2013 - 27. April 2013
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Donnerstag, 21. März 2013

HÖRSACHE NR. 18: SW-Möbel


Werbeanzeige (Ausschnitt), 1960


Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden.

Am 18. März 2013 begab sich die Sendung in das Jahr 1962 und beschäftigte sich mit einem kombinierten Barschrank und Sekretär aus der SW-Möbelserie (Interview mit mir).  

Im Dezember 1950 wurde im Wiener Messepalast zum ersten Mal die Ausstellung "Die Frau und ihre Wohnung" gezeigt, hervorgegangen war sie aus einer Initiative der SPÖ-Frauenbewegung. Präsentiert wurden funktionale, schlichte und dennoch formschöne Möbel sowie moderne Haushaltsgeräte. Die Mustermöbel stammten von Architekten wie Franz Schuster oder Roland Rainer. Die Ausstellung war ein großer Erfolg und so wurde sie in beständig erneuerter Form über Jahre hinweg weitergeführt. Außerdem entstand daraus die Idee, solche Möbel in Serie herzustellen, um sie breiten Bevölkerungsschichten zu erschwinglichen Preisen anbieten zu können.

Die Nachkriegsjahre waren durch einen Mangel an Wohnraum und Hausrat gekennzeichnet, vieles war im Krieg zerstört worden. Die schnell aufgebauten neuen Wohnungen waren meist sehr knapp bemessen und boten keinen Platz mehr für jene massigen Möbel, die die Wohnkultur der vorangegangenen Jahrzehnte so stark geprägt hatten. Eine Modernisierung des Wohnens und des Haushaltens erschien auch im Hinblick auf die Situation der mehrfach belasteten Frauen dringend notwendig. 
So kam es 1952 zu einem Zusammenschluss der Kammer für Arbeiter und Angestellte, der Kammer der gewerblichen Wirtschaft, der Gemeinde Wien und des Österreichischen Gewerkschaftsbundes mit dem Ziel, die Aktion "Soziale Wohnkultur" (SW) ins Leben zu rufen und ein umfassendes modernes Möbelprogramm zu realisieren. Um die Kosten zu senken, sollten die Möbel seriell gefertigt und als Aufbauprogramm angeboten werden: Die einzelnen, aufeinander abgestimmten Möbelstücke sollte man sich auch nach und nach anschaffen können. Hilfe bei der Finanzierung bot überdies eine Kreditaktion. Auch der Handel begnügte sich mit einem geringeren Zuschlag als üblich und so konnten die SW-Möbel in der Anfangszeit um ca. ein Viertel billiger erworben werden als andere Möbel vergleichbarer Qualität. Die SW-Aktion war zunächst auf Wien beschränkt, sie wurde aber bald auch auf andere Bundesländer ausgedehnt.

In eigenen Schauräumen konnte man die Möbel besichtigen und sich beraten lassen. Gezeigt wurden sie außerdem auf Messen und in Musterwohnungen in Gemeinde- und Genossenschaftsbauten. Die Aktion besaß eine große Breitenwirkung und prägte die österreichische Wohnkultur der 1950er und 1960er Jahre wesentlich mit. Darüber hinaus kann die Aktion "Soziale Wohnkultur" als ein Beitrag zum österreichischen Wiederaufbau und einer damit intendierten gesamtgesellschaftlichen Modernisierung gesehen werden. Im Hinblick auf das Geschlechterverhältnis änderte sich allerdings nicht viel: Zwar war es erklärtes Ziel der Aktion, die Belastung der Frau durch die Hausarbeit mit Hilfe praktischer Möbel und moderner Haushaltsgeräte zu erleichtern, doch an der grundsätzlichen Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau wurde - entsprechend der restaurativen Geschlechterpolitik der Nachkriegsjahrzehnte - nicht gerüttelt, die Frau war nach wie vor für Haushalt und Wohnung zuständig.   

Der in der Sendung porträtierte Barschrank aus den Sammlungen des Wien Museums ist insofern ein typisches SW-Möbel, als er mehrere Funktionen in sich vereint: Der untere Teil dient der Aufbewahrung kleinerer Gegenstände, in der oberen Hälfte gibt es eine Barabteilung mit Platz für Getränkeflaschen und einer Halterung zur hängenden Aufbewahrung von Gläsern. Daneben befindet sich der Sekretärteil mit Fächern für Post und Schreibunterlagen, ergänzt wird er durch die Klappfront, die geöffnet als Schreibtischplatte fungiert. Solche multifunktionellen und platzsparenden Möbel waren aufgrund der oft beengten Wohnverhältnisse sehr beliebt, die SW-Programme boten auch Ausziehtische, Schlafcouchen und ähnliches mehr an.  

Mittwoch, 20. März 2013

ANSICHTSSACHE NR. 17: Merkwürdiger Zufall: Beim mikrofotografischen Bibelstechen lässt sich die Stichwaffe des Nachtwächters Toni Prinz erwischen



Bibelstechen_4.jpg | Detail aus: Nachtwächter Toni Prinz | Fotograf unbekannt | Unterweißenbach, Mühlviertel | inventarisiert 1936

Nachtwächter Toni Prinz, Unterweißenbach/Mühlviertel 
© Österreichisches Museum für Volkskunde


Die von Herbert Justnik kuratierte Ausstellung "Mikrofotografisches Bibelstechen. Eine Ausstellung als Einblick und Kommentar" im Österreichischen Museum für Volkskunde ist bis 1. April 2013 verlängert worden.

Ankündigungstext zur Ausstellung:
"Die Praxis des Bibelstechens ist eine Exegese- und Weissagungstechnik, bei der die Bibel an einer zufällig gewählten Stelle aufgeschlagen wird; so wählt man blind eine Textstelle und legt diese einer Fragestellung entsprechend aus. Dieses Prinzip einer zufälligen Auswahl und anschließenden Interpretation des Ergebnisses wurde auf die Inventarbücher des Museums umgelegt. Es diente dazu, vierzehn Objekte aus der Schausammlung und vierzehn Fotografien aus der Fotosammlung des Österreichischen Museums für Volkskunde auszuwählen. Wiederum nach dem Zufallsprinzip wurden diese Fotografien und Objekte zusammengeführt. Zu den dadurch entstandenen Foto-Objekt-Kombinationen haben Autor_innen assoziative Geschichten geschrieben.
Für die Ausstellung verlassen die Objekte die Schausammlung, werden dort durch temporäre Stellvertreter ersetzt und in einem Sonderausstellungsraum in Kombination mit den Fotografien und den über Kopfhörer abhörbaren Geschichten präsentiert.
Dieses experimentelle Ausstellungsformat holt historische Objekte in die Gegenwart und bietet Möglichkeiten der Deutung musealer Exponate neben der wissenschaftlichen Einordnung an. Es fordert mit seinem freien assoziativen Spiel dazu heraus, an diesen Kombinationen die Geschichten, die jede_r von uns immer mit sich herumträgt, zu entzünden. So soll es zu einer Verlebendigung von Geschichte aus unserer Gegenwart heraus und in sie hinein kommen."

Dienstag, 19. März 2013

FUNDSACHE NR. 13: "Schneid die Kramperl weg" Historische Kochrezepte für Fastenspeisen


Im Zuge von Ausstellungsrecherchen gefunden: Historische Kochrezepte für heute in Österreich nicht mehr verzehrte Tiere, die insbesondere in der Fastenküche eine wichtige Rolle spielten: 
Eingemachte Frösche.
Laß die Frösche eine Weil in Wasser liegen, putz das unreine Hautwerk herunter bey den Füßeln, schneid die Kramperl weg, hernach nimm sie heraus, bespreng sie mit Salz. Laß in einem Reindl einen Butter heiß werden, wirf die Frösche hinein, laß sie eine Weile rösten, thu dazu gehacktes grünes Petersilkräutel, und Gewürz, laß es also dünsten. Sie sind bald ausgekocht, richt es an, druck von einer Lemonie den Saft darüber, und gieb es zur Tafel."
Ignaz Gartler: Wienerisches bewährtes Kochbuch in 6 Absätzen. Wien 1787.

Biberpratzen zuzurichten.
Nachdem die sauber geputzten und abgewaschenen Pratzen übersotten worden sind, läßt man sie mit Butter, Wein, Essig, Wurzeln und Kräutern, Lorbeerblättern, Limonienschalen, Salz, Ingwer und Pfeffer anziehen, bis sie schön weich werden, und gibt sie dann mit Butter oder auch Limoniensaft und Semmelbröseln zur Tafel.
Anna Dorn: Neuestes Universal- oder Großes Wiener Kochbuch. Wien 1827.
Religiöse Speisebeschränkungen haben oft großen Einfluss auf die Essgewohnheiten der ihr untergebenen Bevölkerung. So waren die Fastengebote der katholischen Kirche über Jahrhunderte hinweg maßgeblich am Speisezettel beteiligt. Im Unterschied zu anderen Religionen kennt das Christentum zwar keine "unreinen" Speisen, die in der Vergangenheit zum Teil rigorosen Fastenvorschriften schränkten die erlaubten Speisen allerdings (für bis zu mehr als einem Drittel des Jahres) stark ein. 
Kein Wunder also, dass sich einerseits eine eigene Fastenküche herausbildete und andererseits nach allerlei Möglichkeiten gesucht wurde, diese Vorschriften zu umgehen. Rezepte für Fastenspeisen waren bis ins ausgehende 19. Jahrhundert ein fixer Bestandteil der Kochbuchliteratur. Aufgrund des Fleischverbotes fanden sich nicht nur zahlreiche Fischrezepte darunter, sondern auch solche zur Zubereitung weiterer Tierarten, die nicht unter das Abstinenzgebot fielen. Dazu zählten zum Beispiel Krebse, Muscheln, Seesterne, Schnecken, Frösche, Reiher, Schwäne, Schildkröten, Biber oder Otter.   

Montag, 18. März 2013

ABC-SACHE NR. 2: M wie Milchpilz


 (c)  Hermann Waldner GmbH & Co. KG, Wangen im Allgäu
© Hermann Waldner GmbH & Co. KG, Wangen im Allgäu
Quelle:http://www.monumente-online.de/08/06/streiflichter/05_Kiosk_Fliegenpilz.php


Noch einmal Architektur im Dienste des Milchverkaufs: Der in den 1950er Jahren aufgekommene "Milchpilz", ein kleiner Kiosk in der Form eines Fliegenpilzes. Die außergewöhnliche Form sollte zum Milchkonsum anregen - "Milchverbrauchswerber" lautete der marketingtechnische Fachbegriff, der hinter der Idee stand. Es war die Zeit, in der auch die Milchbar in Mode war, und Eisdielen bzw. Eissalons boomten. Der Konsum von Milch, Eis und Schlagobers war Ausdruck des nach dem Krieg wiedergewonnenen Wohlstands.
Mehr als 50 Stück dieser wie aus einem Zwergengarten anmutenden Verkaufshäuschen in Holz-Fertigbauweise wurden in den 1950er Jahren von der Firma Waldner in Wangen im Allgäu produziert und nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz und in Österreich aufgestellt. Naheliegenderweise fanden mehrere davon in Ortschaften rund um den Bodensee ihren Standort, so auch die beiden Exemplare, die mir in meiner Kindheit und Jugend ein vertrauter Anblick waren, nämlich jene in Bregenz und in Lindau. 


Die dort angebotenen Molkereiprodukte schmeckten durch die Aura der originellen und auffallenden Kioskgestaltung so gut, dass man sich als Kind wie in einer Märchenwelt vorkam und Bilder vom Schlaraffenland heraufbeschworen wurden. Faszinierend, dass ausgerechnet ein giftiger Fliegenpilz derart köstliche Dinge in sich barg, die fein säuberlich und appetitlich mit weißen Papierservietten dargereicht wurden. Die Käsesemmel aus dem Milchpilz wirkte lange nicht so gewöhnlich wie die hausgemachte, und die Milchmixgetränke gab es in Geschmacksrichtungen, die der häuslichen Küche völlig unbekannt waren. Wie es scheint, war diese Form der Milchverbrauchswerbung nicht nur bei mir erfolgreich, denn die Pilzkioske erfreuten sich allgemein großer Beliebtheit.  
Der Bregenzer Milchpilz, in der Nähe des Bodenseeufers gelegen, zählt (wie auch der Lindauer) zu den wenigen noch erhaltenen Exemplaren, und er bietet sogar nach wie vor die ursprüngliche Produktpalette an, während in manchen anderen Milchpilzen heute Bratwurst und ähnliches verkauft wird.


Freitag, 15. März 2013

SACHKUNDE NR. 1: Der Architekt Gregor Schuberth über Wiener Meiereien und Milchtrinkhallen


Meierei im Wiener Stadtpark, erbaut 1901-1903 nach Plänen der Architekten Friedrich Ohmann und Josef Hackhofer



Architektonische Feldforschung und verschwundene Typologien

Sachkundig: Der Wiener Architekt Gregor Schuberth (er betreibt zusammen mit seiner Schwester Johanna Schuberth seit 2005 ein gemeinsames Büro) beschäftigt sich auch mit Architekturgeschichte und schreibt darüber immer wieder kleine Texte und Artikel, zum Beispiel für Die Presse. Bisher sind Beiträge über den Wiener Würstelstand, das Burgtor am Heldenplatz oder ein Erfahrungsbericht über das Wohnen in der Wohnhausanlage Am Schöpfwerk erschienen.

Spezielles Augenmerk widmet er „verschwundenen Typologien“: Architektonische Formen, die im Lauf der Zeit verschwinden, aus welchen Gründen auch immer. Zu diesen verlorenen Typologien zählt zum Beispiel die Milchtrinkhalle. Für diesen Blog beschreibt er ihre Geschichte: 


Meierei und Milchtrinkhalle in Wien  

Die Milchtrinkhallen des 19. und frühen 20 Jahrhunderts sind aus der allgemeinen Erinnerung fast vollständig verschwunden. Dabei war der gastronomische Modetrend von anhaltender Dauer.

Milchmeier wurden in Wien die kleinen Stallbetriebe der Vororte genannt, die meisten ohne eigene Rinderzucht, manche schenkten die Milch direkt in eigenen Gastgärten aus. Traditionell wurden auch Molkerei- oder Landwirtschaftsgebäude so bezeichnet; zur Weltausstellung 1873 zeigte man in der Meierei eine Leistungsschau von Rinderarten der Kronländer. Die Kammermeierei der Kaiserin Elisabeth im Tirolergarten des Schlossparks Schönbrunn stellte die geadelte Form dar. 1896 beherbergte das Ensemble im ländlichen Fachwerkstil 26 Rinder und Hühner und versorgte exklusiv den Hof. An die k. u. k. Zuckerbäckerei wurde ebenfalls geliefert, Bestellungen unter Angabe einer bestimmten Kuh sollten Qualität und Fettgehalt sicherstellen. Neben den bäuerlichen Versorgerbetrieben standen die Lusthäuschen und Vergnügungspavillons der Schlossparks Pate bei der Entwicklung zur populären Milchtrinkhalle, darin dem Cafépavillon verwandt. Später werden die Kur- und Esplanadencafés folgen.

Die Milchwelle um die damalige Jahrhundertwende war auch den Kur- und Gesundheitsbewegungen jener Zeit benachbart. In Deutschland bildeten sich Initiativen für gemeinnützigen Milchausschank, um dem Problem des Alkoholmissbrauchs entgegenzutreten. Mit gemischten Erfolg, weil Angebote wie Schulspeisungen und Milchausschank eher von Kindern besser situierter Familien genützt wurden. Süße und saure Milch, pasteurisiert und unpasteurisiert, für diätische Zwecke − die Hinweise auf das damalige Angebot in den Milchhallen sind spärlich. Welche Speisen wurden serviert, wie hat es gerochen, welche Gäste traf man an? (laktosefrei war eher noch keine Kategorie). Zeitreisen oder historisches Spurensuchen sind hier noch gefragt. 

Leichter fällt die Bestandsaufnahme der alten Gebäude, weil sie durch Weiternutzung meist erhalten blieben. Eine Zeitlang boomt es geradezu, kein Park und kein Ausflugsziel ohne Meierei. Im brandneu gestalteten Wiener Stadtpark errichten die Architekten Ohmann und Hackhofer 1903 die üppige Milchtrinkhalle gleich mit (nach Kriegsschäden verändert, heute Steirereck). Im Volksgarten wird 1924 ein ehemaliges Wasserreservoir-Häuschen zur Milchtrinkhalle umgebaut (heute Café Meierei Volksgarten). Im gleichen Jahr übernimmt die Wiener Molkerei in der Prater Hauptallee Nr. 3 ein ehemaliges Pavillonhäuschen der Weltausstellung für American Drinks (heute Meierei im Prater). Im Schönbrunner Schlosspark wurde 1927 die offene Veranda eines Gartenpavillons von 1830/40 ummantelt und als Café-Meierei betrieben. Im Ottakringer Kongresspark von 1928 fügte der Architekt dem Schwimm-, Sonnen- und Luftbad den Milchpavillon gleich hinzu; wie auch in anderen kommunalen Bade- und Erholungsanlagen jener Zeit.

1951 gestaltete Architekt Oswald Haerdtl noch einen Milchpavillon neben dem bestehenden Volksgartentanzcafe (heute
Volksgarten-Pavillon) und markierte schon das Abklingen der Molkereiwelle  − zugunsten neuer Formen, wie z.B. den Espresso-Bars. Der bauliche Typus ist am Gartenpavillon orientiert: meist einfache Einraumgebäude mit umlaufender Loggia oder Veranda. Dementsprechend nahe liegt die Nachnutzung: Cafés und Konditoreien traten an die Stelle der Milchbars und führten nur den Namen weiter. Ein Ausblick nach dem Blick zurück − sollte sich die Fitnessbewegung der heutigen Zeit mit unserem Hang zu Retro-nutzungen verbinden: werden wir wieder Milchtrinkhallen bauen?



Ansichtskarte (Archiv Gregor Schuberth). Laut Händlervermerk handelt es sich um das Kongreßbad in Wien - dies konnte allerdings nicht verifiziert werden und erscheint auch nicht plausibel. Sachdienliche Hinweise werden gerne entgegengenommen.


Donnerstag, 14. März 2013

TERMINSACHE NR. 22: Das "stille Örtchen"

Tagung:
'Das stille Örtchen'. Fäkalien und Fäkalienentsorgung im Mittelalter
Veranstalter: "Freundeskreis Bleidenberg e.V."; Ortsgemeinde Oberfell; Alpen-Adria Universität Klagenfurt; Universitärer Rat zur interdisziplinären Analyse von Latrinen, URINAL
Datum, Ort: 15.11.2013-17.11.2013, Oberfell an der Mosel, Mosellahalle


Ankündigungstext:
Das „stille Örtchen“ wird nicht gerne thematisiert – im gepflegten Gespräch genauso wenig wie im wissenschaftlichen Kontext. Die Burgenforschung hat sich im Lauf der Jahre mit vielen speziellen Problemen und Bauteilen beschäftigt, doch Aborte und die Entsorgung von Fäkalien allgemein sind bisher nur wenig bearbeitet worden, sieht man einmal von den Danskern der Deutschordensburgen als Spezialfällen ab.
Offen über das „stille Örtchen“ zu sprechen, das ist das Anliegen der Tagung: Es soll untersucht werden, wie Aborte in mittelalterlichen Burgen, aber auch in Klöstern, Dörfern und Städten aussahen – wie hat man die Fäkalien entsorgt? Welche baulichen Einrichtungen wurden dafür geschaffen? Wo befanden sich die Latrinen? Wo liegen die Unterschiede zwischen Burgen, Klöstern und Siedlungen, lassen sich bestimmte Parameter herausarbeiten? Es soll aber über die rein bauhistorischen, architektonischen und archäologischen Befunde hinaus auch die kulturhistorische Dimension des Themas angesprochen werden: Gab es Vorschriften zur Fäkalienentsorgung in Städten, zur Beschaffenheit und Lage von Aborten und Abortgruben? Wie sind die Menschen im Mittelalter mit dem Thema umgegangen? Wie wird das Thema in der zeitgenössischen Kunst und Literatur behandelt? Wie steht es um die Entsorgung tierischer Fäkalien?


Quelle: hsozkult (inkl. Tagungsprogramm)
 

Mittwoch, 13. März 2013

TERMINSACHE NR. 21: Eat Hate Love


Cover: Eat Hate Love


Buchpräsentation:
 
Inge Fasan: Eat Hate Love 
192 Kochanleitungen bei Liebeskummer 

Mandelbaum Verlag
 
Donnerstag, 21. März 2013 | 19:00 Uhr
Restaurant Dionysos-Nosh

Kochgasse 9, 1080 Wien 

Mit Beiträgen von Margot Fischer, Wolfgang Herles, Eveline List, Evelyne Puchegger-Ebner, Gerd Wolfgang Sievers, Katrin Sippel, Amaryllis Sommerer und Martina Winkel. 

Der Band enthält auch kulturhistorische Beiträge: So gibt meine ehemalige Kollegin, die Historikerin und Übersetzerin Katrin Sippel einen historischen Überblick über kulinarische Strategien, dem Leiden an der Liebe beizukommen. Wie ihr Beitrag zeigt, bewegten sich diese auch in der Vergangenheit zwischen Darben und Völlern. Der französische Mediziner Jacques Ferrand etwa zählte 1610 extremen Durst und unnatürliche Speisegelüste zu den typischen Symptomen und nannte als Beispiele für letztere Kreide, Kalk, Hafermehl, verbranntes Fleisch, Kohle, Asche, alte Schuhe, Wachs, Nussschalen, Zement, Mörtel und sogar Menschenfleisch. Das Gegenteil beschrieb Rudolf von Ems im 13. Jahrhundert in einer Versnovelle: Traurig bei Tisch sitzen und nicht essen und nicht trinken. Praktisch wie immer Hildegard von Bingen: Sie empfahl zur Aufhellung des Gemüts und gegen die Verbitterung des Herzens unter anderem Dinkel und Hafer, Fenchel und Straußenleber, Zimt und Flohsamen.


Dienstag, 12. März 2013

HÖRSACHE NR. 17: Die Würfeluhr



© Technisches Museum Wien



Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden.

Am 11. März 2013 begab sich die Sendung in das Jahr 1960 und beschäftigte sich mit der Wiener Würfeluhr - deren Design allerdings bereits aus dem Jahr 1907 stammt (Interview mit Peter Payer).  

Website "Zum Greifen nah" 


Montag, 11. März 2013

TERMINSACHE NR. 20: Künstliche Körper


CFP: Überwindung der Körperlichkeit

Historische Perspektiven auf den künstlichen Körper

7. Aachener Tag der Wissenschaftsgeschichte
Aachener Kompetenzzentrum für Wissenschaftsgeschichte, Institut für
Geschichte, RWTH Aachen University
15.11.2013, Aachen
Deadline: 15.06.2013


Ankündigungstext:
 
Hochentwickelte Prothesen, Gentechnik und Transplantationsmedizin, aber
auch Lifestyle-Produkte wie Smartphones, Schönheitschirurgie und
leistungssteigernde Substanzen haben eines gemeinsam: Sie stellen auf
verschiedene Weise die biologisch determinierte Körperlichkeit in Frage.
Ob es um die Wiederherstellung einer Körperfunktion, die Verbesserung
der körperlichen und geistigen Konstitution, oder das enge Zusammenspiel
zwischen Mensch und Technik geht - die Grenze zwischen Körper und
Technik scheint zunehmend zu verwischen.
Versuche, den Menschen künstlich zu verbessern, finden sich in jeder
Epoche auf. Prothesen, die Gliedmaßen ersetzen und so die Normalität des
Körpers wiederherstellen, sind schon seit der Antike bekannt. Das
Gleiche gilt für Rüstungen, die die Widerstandsfähigkeit des Körpers
stärken und den Träger zum "Supermenschen" machen.
Ausgangspunkt sowohl für Enhancement als auch für rekonstruktive Geräte
ist stets die Vorstellung der "normalen Körper". Wenn ein "normal"
aussehender und funktionierender Körper wiederhergestellt wird, kommt
die Vorstellung vom Normkörper zum Ausdruck. Aus diesem Grund ist die
Geschichte des künstlichen Körpers auch eine Ideengeschichte des
Körpers.

Der diesjährige Aachener Tag der Wissenschaftsgeschichte möchte die
Kontinuitäten und Brüche in der (Wechsel)beziehung von Körper und
körperassoziierter Technik untersuchen. Um Perspektiven auf die
gegenwärtige Entwicklung von Enhanchementtechnologien zu gewinnen, soll
die Geschichte "verbesserter" Körper betrachtet und die jeweiligen
Grenzen zwischen Mensch und Technik nachverfolgt werden.
Wir suchen Vorträge zu historischen Fallbeispielen und
periodenübergreifende Analysen vom Zusammenspiel zwischen Körper und
Technik. Besonders willkommen sind interdisziplinär angelegte Beiträge
von Geistes- und Naturwissenschaftlern zu den übergreifenden Fragen:
Welche Ängste und Hoffnungen waren mit der Vorstellung einer
Körperlichkeit der Zukunft verbunden? Wann wurde und wird die Technik zu
einem Teil des Körpers? Inwieweit waren und sind wir schon Cyborgs? Seit
wann finden sich Tendenzen, die körperlichen Fähigkeiten zu
"transzendieren", d.h. dem Körper Fähigkeiten zu verleihen, die über das
natürliche menschliche Maß hinausgehen?

Abstracts von bis zu 500 Wörter werden bis zum 15.06.2013 an
akwg@rwth-aachen.de erbeten. 
Die Vorträge sollen jeweils 20 Minuten lang sein. Die Veröffentlichung
der Beiträge im Rahmen eines Tagungsbandes ist geplant.
http://www.akwg.rwth-aachen.de/



Quelle: hsozkult 

Samstag, 9. März 2013

ANSICHTSSACHE NR. 16: Mode für Roboter


© Susanne Breuss
Roboter in der Ausstellung "Roboter. Maschine
und Mensch?" im Technischen Museum Wien

© Susanne Breuss
Roboter in der Ausstellung "Roboter. Maschine
und Mensch?" im Technischen Museum Wien


Noch bis 14. Juli 2013 ist im Technischen Museum Wien die Ausstellung "Roboter. Maschine und Mensch?" zu sehen. 
Hier zwei Beispiele für die Kleidung von Robotern. Die beliebte Strategie, ihnen durch textile Hüllen eine menschlichere Anmutung zu verleihen und technische Innereien zu verbergen, müsste ja eigentlich eher eine "futuristische" Mode hervorbringen. Zumindest beim unteren Beispiel ist genau das Gegenteil der Fall: Ein Jutekittel, wie man ihn eher mit Mittelalterkostümierungen assoziiert.  


Freitag, 8. März 2013

ANSICHTSSACHE NR. 15: Dirndl, Jeans und Seidenstrumpf im Volkskundemuseum Graz


Wummkittel, wärmender Unterrock
Preding, Anfang 20. Jahrhundert,
Foto: UMJ / Ursula Grilnauer


Seit 2. März 2013 ist im Volkskundemuseum Graz/ Universalmuseum Joanneum die von Eva Kreissl kuratierte Ausstellung "Dirndl, Jeans und Seidenstrumpf. Was Kleidung aus uns macht" zu sehen (bis 1. Dezember 2013).
Das Volkskundemuseum wird heuer 100 Jahre alt - ein Anlass, um mit der Kleidung einen der wichtigsten Sammlungsschwerpunkte genauer unter die Lupe zu nehmen. In der Ausstellung geht es um den Umgang mit Kleidung, ihre Materialität und ihre semantischen Bedeutungen. Sie dechiffriert soziale Codes und Werthaltungen ebenso wie sie die Entwicklung vom ideologischen Kampf um die Tracht zu modischem Wohlgefallen verfolgt. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf der Bedeutung von Kleidung im Alltagsleben - Specials gibt es zum Dirndl, zu Jeans und zur schwarzen Lederjacke.

Ich hatte zwar noch keine Gelegenheit, die Ausstellung zu besichtigen - fest steht aber schon jetzt, dass der oben abgebildete "Wummkittel", ein wärmender Unterrock aus dem frühen 20. Jahrhundert, zu meinen Lieblingsexponaten zählen wird: Ein schönes Beispiel für das lange Zeit übliche Bestreben, auch noch kleinste Reste von Materialien zur Anfertigung nützlicher Dinge zu verwerten bzw. umzunutzen.  

Ausstellungswebsite 

 

Mittwoch, 6. März 2013

ANSICHTSSACHE NR. 14: "Einer von denen" - Christian Stadelmann über eines seiner Lieblingsexponate in der Ausstellung "Roboter. Maschine und Mensch?"


Der MM6 in der Ausstellung des Technischen Museums.
Auf dem kleinen Teppich stand er seit Jahrzehnten in der
Wohnung seines Erbauers.
Foto: APA/Thomas Preiss


Im Technischen Museum Wien ist noch bis 14. Juli 2013 die Ausstellung "Roboter. Maschine und Mensch?" zu sehen. 

Christian Stadelmann, gemeinsam mit Bodo-Michael Baumunk Kurator der Ausstellung, stellt hier eines seiner Lieblingsexponate vor. Es handelt sich um den „Maschinenmenschen“ Numero 6 aus dem Jahr 1958. Erbaut wurde er von dem Wiener Kybernetiker Claus Scholz-Nauendorff in dessen Privatwohnung. Christian Stadelmann umreißt die Bedeutung dieses Roboters folgendermaßen: 
„Das ehrgeizige Ziel, das Scholz-Nauendorff verfolgte, war es, sogenannte künstliche Intelligenz in Gestalt humanoider Roboter zu schaffen. Die Ergebnisse dieser Arbeit muten aus heutiger Sicht bizarr an, allzu simpel erscheinen die technischen Lösungen angesichts des Anspruchs, ein dienstbares Wesen zu schaffen. Aber die Öffentlichkeit zeigte vor allem an den Nachfolgemodellen MM7 und MM8 großes Interesse. Scholz Nauendorff präsentierte seine ‚Geschöpfe’ mit ernstem Stolz im Fernsehen und in Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln. Dauerhafter Erfolg war diesen Forschungsaktivitäten nicht beschieden. MM7 kam ins Technische Museum Wien, MM8 ins Wiener Bezirksmuseum Landstraße. Sie haben dort einen eher skurrilen Status erlangt. MM6 ist überhaupt in Vergessenheit geraten.“
Und wie kam nun dieser MM6 in die Ausstellung des Technischen Museums? Das ist eine jener spannenden Geschichten, wie sie Ausstellungsmacher/innen auf der Suche nach interessanten Exponaten gerne erleben. Im Zuge der Recherchen zum Begleitmaterial zu den „Maschinenmenschen“ konnte Christian Stadelmann die Witwe des 1992 verstorbenen Kybernetikers, Friedericke Scholz-Nauendorff, ausfindig machen. Während eines Gesprächs über die „Maschinenmenschen“ ihres Mannes erwähnte sie dem Kurator gegenüber en passant, dass „einer von denen“ ja noch „hier herumsteht“. Für Christian Stadelmann war das ein ebenso aufregender wie berührender Augenblick: 
„Auf meine unsichere Frage hin, was sie denn meine, führte mich die beim Gespräch anwesende Pflegerin von Frau Scholz-Nauendorff in einen Vorraum zur Küche, wo tatsächlich in einem Erker der mannshohe, über 50 Jahre alte Roboter stand. Wegen mechanischen Problemen hatte Scholz-Nauendorff seinerzeit die Entwicklung daran eingestellt und mit der Herstellung des Nachfolgemodells begonnen. Über meinen Wunsch, den MM6 ins Museum zu holen, zeigte sich die Betreuerin sehr erfreut, denn sie fürchtete sich jedes mal, wenn sie an ihm vorbeigehen musste, wie sie gestand.“
Für Christian Stadelmann ergab sich bei dieser Gelegenheit nicht nur ganz unerwartet ein tolles Ausstellungsobjekt, sondern auch eine direkte Verknüpfung zu den vielen Hoffnungen, die in Roboter gesteckt wurden und werden – wozu auch die Vorstellung zählt, dass Roboter dereinst in der Pflege von kranken Menschen eingesetzt werden könnten. Ein Gedanke, der in diesem Moment und in Gegenwart einer Pflegerin aus Fleisch und Blut einen ähnlich unheimlichen Beigeschmack besaß wie die äußere Gestalt des MM6.



Dienstag, 5. März 2013

TERMINSACHE NR. 19: Eating at Work (CFP)


CFP: Eating at Work (18th-21th centuries)
International conference
Centre Georges Chevrier - Université de Bourgogne, Dijon (France)
16.01.2014-17.01.2014, Dijon, Université de Dijon
Deadline: 31.05.2013

Aus dem Ankündigungstext:

Eating at work, considered in the broad sense as all food consumption practices related to an employed occupation, both everyday and exceptional, in times of strike or during celebrations, constitutes a privileged observatory of social practices, whether they relate to hierarchical power relations or to horizontal, egalitarian sociability in the world of work. The last three centuries (XVIII-XXI centuries) have seen profound changes in the ways in which food is consumed at work, exposing the transformation of societies and their relationship to work, nutrition and taste. The movement seems to concern Europe and beyond, a dimension to be explored in our work, even so we assume that its rhythms varied widely.
To address this question, we wish to examine the times and places where people eat, with whom they eat and what they eat, issues that surely overlap, but on which it is possible to construct and initiate some further reflections. 


Quelle und weitere Infos: hsozkult 

Montag, 4. März 2013

HÖRSACHE NR. 16: Amerikanische Küche



© Wien Museum



Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden.
Heute begab sich die Sendung in das Jahr 1958 und beschäftigte sich mit einer von einem Wiener Tischler gefertigten zuckerlfarbenen "amerikanischen" Einbauküche (Interview mit Susanne Breuss).  

In den 1950er Jahren wurde (wie bereits in der Zwischenkriegszeit) erneut der private Haushalt als Ziel von Rationalisierungsbestrebungen entdeckt. Es ging um die Entlastung der durch Wiederaufbau und Erwerbstätigkeit mehrfach belasteten Frau und um die Einbindung der "größten Produktionsstätte der Welt" in ein gesamtgesellschaftliches Modernisierungsprogramm. 
Besonderes Augenmerk galt dabei der Küche. Sie sollte nach rationellen Kriterien und nach Möglichkeit als Einbauküche und reine Arbeitsküche gestaltet werden. Zu den Standards einer rationellen Küche zählten damals glatte, leicht zu pflegende Oberflächen, Kunststoffbeschichtungen, Schütten für Mehl, Zucker etc., herausziehbare Arbeitsplatten, Eckverbauungen mit in den Türen integrierten Regalen, Brotschränke und Geschirrtuchschränke mit Belüftungslöchern, ergonomisch richtige Arbeitshöhen etc.  

"Amerikanisch" bedeutete in diesem Zusammenhang nicht "aus Amerika", sondern "rationell" - "amerikanisch" stand für modern, fortschrittlich, technisiert, praktisch, bequem. Das "Wienerische" an dieser Küche war, dass sie optisch noch ein wenig an die traditionellen Kredenzen erinnerte und nicht jene glatten, undifferenzierten Oberflächen besaß, wie sie in den USA, dem Ursprungsland der Rationalisierungsidee, bereits üblich waren. Die Wiener Version der Einbauküche galt als "weniger extrem" und "nicht so verbaut", sie vereinte alte und neue Elemente, war also moderat modern. Das galt auch für die damals beliebten "Zuckerlfarben" - "moderner" und auch von Architekten bevorzugt wäre Weiß gewesen.

Die "Amerikanische Küche" wurde zum "Traum jeder Hausfrau" hochstilisiert und galt als Statussymbol der "Wirtschaftswunderzeit". Ergänzt wurde sie idealerweise durch elektrische Haushaltsgeräte wie Kühlschrank und Mixer. Gebräuchlich war auch die Bezeichnung "Schwedenküche", damit war eine eher einfachere rationelle Küche mit geringerer technischer Ausstattung gemeint. Für die breiten Massen waren diese Küchen noch sehr teuer, die Gemeinde Wien startete deswegen 1958 eine Kreditaktion für deren Finanzierung.

Im Ideal der "Amerikanischen Küche" materialisierte sich die Geschlechterpolitik der 1950er Jahre - in der reinen Arbeitsküche (definiert als weiblicher Raum) war die Frau isoliert, ihre Arbeit wurde unsichtbar und erledigte sich dank technischer Hilfsmittel quasi von selbst (und damit scheinbar auch die Diskussion über die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung)...       

Mehr zur Modernisierung der Küche in den 1950er Jahren:
Susanne Breuss: „Jede Frau kann zaubern“. Technik, Tempo und Fortschritt in der Küche. In: Dies. (Hg.): Die Sinalco-Epoche. Essen, Trinken, Konsumieren nach 1945 (= Ausstellungskatalog Wien Museum). Wien 2005. S. 110-119.