"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Montag, 18. März 2013

ABC-SACHE NR. 2: M wie Milchpilz


 (c)  Hermann Waldner GmbH & Co. KG, Wangen im Allgäu
© Hermann Waldner GmbH & Co. KG, Wangen im Allgäu
Quelle:http://www.monumente-online.de/08/06/streiflichter/05_Kiosk_Fliegenpilz.php


Noch einmal Architektur im Dienste des Milchverkaufs: Der in den 1950er Jahren aufgekommene "Milchpilz", ein kleiner Kiosk in der Form eines Fliegenpilzes. Die außergewöhnliche Form sollte zum Milchkonsum anregen - "Milchverbrauchswerber" lautete der marketingtechnische Fachbegriff, der hinter der Idee stand. Es war die Zeit, in der auch die Milchbar in Mode war, und Eisdielen bzw. Eissalons boomten. Der Konsum von Milch, Eis und Schlagobers war Ausdruck des nach dem Krieg wiedergewonnenen Wohlstands.
Mehr als 50 Stück dieser wie aus einem Zwergengarten anmutenden Verkaufshäuschen in Holz-Fertigbauweise wurden in den 1950er Jahren von der Firma Waldner in Wangen im Allgäu produziert und nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Schweiz und in Österreich aufgestellt. Naheliegenderweise fanden mehrere davon in Ortschaften rund um den Bodensee ihren Standort, so auch die beiden Exemplare, die mir in meiner Kindheit und Jugend ein vertrauter Anblick waren, nämlich jene in Bregenz und in Lindau. 


Die dort angebotenen Molkereiprodukte schmeckten durch die Aura der originellen und auffallenden Kioskgestaltung so gut, dass man sich als Kind wie in einer Märchenwelt vorkam und Bilder vom Schlaraffenland heraufbeschworen wurden. Faszinierend, dass ausgerechnet ein giftiger Fliegenpilz derart köstliche Dinge in sich barg, die fein säuberlich und appetitlich mit weißen Papierservietten dargereicht wurden. Die Käsesemmel aus dem Milchpilz wirkte lange nicht so gewöhnlich wie die hausgemachte, und die Milchmixgetränke gab es in Geschmacksrichtungen, die der häuslichen Küche völlig unbekannt waren. Wie es scheint, war diese Form der Milchverbrauchswerbung nicht nur bei mir erfolgreich, denn die Pilzkioske erfreuten sich allgemein großer Beliebtheit.  
Der Bregenzer Milchpilz, in der Nähe des Bodenseeufers gelegen, zählt (wie auch der Lindauer) zu den wenigen noch erhaltenen Exemplaren, und er bietet sogar nach wie vor die ursprüngliche Produktpalette an, während in manchen anderen Milchpilzen heute Bratwurst und ähnliches verkauft wird.


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