"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Montag, 4. März 2013

HÖRSACHE NR. 16: Amerikanische Küche



© Wien Museum



Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden.
Heute begab sich die Sendung in das Jahr 1958 und beschäftigte sich mit einer von einem Wiener Tischler gefertigten zuckerlfarbenen "amerikanischen" Einbauküche (Interview mit Susanne Breuss).  

In den 1950er Jahren wurde (wie bereits in der Zwischenkriegszeit) erneut der private Haushalt als Ziel von Rationalisierungsbestrebungen entdeckt. Es ging um die Entlastung der durch Wiederaufbau und Erwerbstätigkeit mehrfach belasteten Frau und um die Einbindung der "größten Produktionsstätte der Welt" in ein gesamtgesellschaftliches Modernisierungsprogramm. 
Besonderes Augenmerk galt dabei der Küche. Sie sollte nach rationellen Kriterien und nach Möglichkeit als Einbauküche und reine Arbeitsküche gestaltet werden. Zu den Standards einer rationellen Küche zählten damals glatte, leicht zu pflegende Oberflächen, Kunststoffbeschichtungen, Schütten für Mehl, Zucker etc., herausziehbare Arbeitsplatten, Eckverbauungen mit in den Türen integrierten Regalen, Brotschränke und Geschirrtuchschränke mit Belüftungslöchern, ergonomisch richtige Arbeitshöhen etc.  

"Amerikanisch" bedeutete in diesem Zusammenhang nicht "aus Amerika", sondern "rationell" - "amerikanisch" stand für modern, fortschrittlich, technisiert, praktisch, bequem. Das "Wienerische" an dieser Küche war, dass sie optisch noch ein wenig an die traditionellen Kredenzen erinnerte und nicht jene glatten, undifferenzierten Oberflächen besaß, wie sie in den USA, dem Ursprungsland der Rationalisierungsidee, bereits üblich waren. Die Wiener Version der Einbauküche galt als "weniger extrem" und "nicht so verbaut", sie vereinte alte und neue Elemente, war also moderat modern. Das galt auch für die damals beliebten "Zuckerlfarben" - "moderner" und auch von Architekten bevorzugt wäre Weiß gewesen.

Die "Amerikanische Küche" wurde zum "Traum jeder Hausfrau" hochstilisiert und galt als Statussymbol der "Wirtschaftswunderzeit". Ergänzt wurde sie idealerweise durch elektrische Haushaltsgeräte wie Kühlschrank und Mixer. Gebräuchlich war auch die Bezeichnung "Schwedenküche", damit war eine eher einfachere rationelle Küche mit geringerer technischer Ausstattung gemeint. Für die breiten Massen waren diese Küchen noch sehr teuer, die Gemeinde Wien startete deswegen 1958 eine Kreditaktion für deren Finanzierung.

Im Ideal der "Amerikanischen Küche" materialisierte sich die Geschlechterpolitik der 1950er Jahre - in der reinen Arbeitsküche (definiert als weiblicher Raum) war die Frau isoliert, ihre Arbeit wurde unsichtbar und erledigte sich dank technischer Hilfsmittel quasi von selbst (und damit scheinbar auch die Diskussion über die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung)...       

Mehr zur Modernisierung der Küche in den 1950er Jahren:
Susanne Breuss: „Jede Frau kann zaubern“. Technik, Tempo und Fortschritt in der Küche. In: Dies. (Hg.): Die Sinalco-Epoche. Essen, Trinken, Konsumieren nach 1945 (= Ausstellungskatalog Wien Museum). Wien 2005. S. 110-119.  


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