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"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.
Freitag, 31. Mai 2013
DRUCKSACHE NR. 17: Body Politics. Zeitschrift für Körpergeschichte (Heft 1: Fordismus)
Nicht gedruckt, sondern als frei zugängliches Online-Journal erscheint die neue Zeitschrift Body Politics. Zeitschrift für Körpergeschichte, die der Erforschung der Geschichte des Körpers im Zeitraum vom 18. bis zum 21. Jahrhundert gewidmet ist.
Das erste (von Peter-Paul Bänziger herausgegebene) Heft hat den Themenschwerpunkt Fordismus und beschäftigt sich u. a. mit Arbeitsfreude und Tanzwut, Prothesen und dem fitten Körper.
Mittwoch, 29. Mai 2013
TERMINSACHE NR. 34: Trude Lukacseks "Objets sauvés"
© Trude Lukacsek |
k48 - Offensive für zeitgenössische Wahrnehmung
Projektraum Oliver Hangl
Kirchengasse 48/Lokal 2, 1070 Wien
Mittwoch, 5.6.2013
Trude Lukacsek
Objets sauvés - Hommage an ein paar Gegenstände
Foto- und Video-Projektion / Vortrag
Beginn 20 Uhr
"Objets sauvés", also "gerettete Gegenstände", erhalten für einen Abend eine Bühne.
Trude Lukacsek zeigt Dinge, die alltäglich aber außergewöhnlich, auratisch oder rätselhaft sind. Bemerkenswerte Objekte, die ihre eigene Geschichte, die Geschichte ihrer Zeit, ihres Umfelds und die ihrer Hersteller erzählen. Lukacsek sammelt sie, fotografiert oder filmt sie und rettet sie so vor dem Verschwinden. Im k48 präsentiert sie einige "Favourites" aus ihren umfangreichen Sammlungen. Jedes Ding wird einzeln vorgestellt: Der Schachfigurencontainer, der Scherenlöffel, der Wäschehase, der Waldfisch und viele mehr.
© Trude Lukacsek |
Dienstag, 28. Mai 2013
DRUCKSACHE NR. 16: Berliner Blätter über den Tausch von Materiellem und Immateriellem
Die neu erschienene Ausgabe Nr. 61/2012 der Berliner Blätter ist dem Thema "(aus)tauschen. Erkundungen einer Praxisform" gewidmet und beschäftigt sich aus einer ethnographischen Perspektive mit dem Aus/Tausch als Alltagsphänomen und Praxisform. In den Blick genommen werden materielle wie immaterielle Formen des Tauschs. In den Beiträgen geht es zum Beispiel um Kleidertransfers zwischen Müttern und Töchtern als Beziehungspraxis, um ein Leporello aus dem Konzentrationslager Ravensbrück oder um Pralinen und Kaffee, die Pflegebedürftige ihren Pflegenden schenken.
Montag, 27. Mai 2013
HÖRSACHE NR. 26: Jute statt Plastik-Tasche
© Wien
Museum
|
Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit
dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie
„Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge
aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden.
Heute begab sich die Sendung in das Jahr 1979 und beschäftigte sich mit der Jute statt Plastik-Tasche (Interview mit mir). Dabei handelt es sich um einen 40 x 40 cm großen einfachen und handgefertigten Stoffbeutel aus grobem Jutegewebe, der im Rahmen einer entwicklungspolitischen und gesellschaftskritischen Aktion in der Schweiz geschaffen wurde. 1979 startete die Kampagne auch in Österreich. Es ging ihr um Solidarität mit den Armen in der "Dritten Welt" und um Kritik an der westlichen Wachstums-, Konsum- und Wegwerfgesellschaft, die einen sozial und ökologisch problematischen Lebensstil hervorgebracht hatte.
Aus Jute war die Tasche, weil sie eine ökologische Alternative zu den allgegenwärtigen Einkaufstaschen aus Kunststoff darstellte und weil damit die völlig verarmte Bevölkerung in Bangladesh unterstützt werden konnte. Bangladesh konnte auf eine reiche Tradition an Juteproduktion und -verarbeitung zurück blicken. Durch die Umstellung der Seefracht auf Container fielen allerdings die bis dahin üblichen Transportsäcke aus Jute weg. Weiters hatte Jute als Exportartikel an Bedeutung verloren, weil immer mehr Produkte aus Kunststoffen und Kunstfasern hergestellt wurden.
Wer in den späten 1970ern und frühen 1980ern politisch korrekt einkaufen wollte, verwendete dafür die Jutetasche. Sie wurde schnell zu einem in der Öffentlichkeit gut sichtbaren Symbol für die Alternativbewegung. Ihre Botschaft war: Ich schone die Umwelt und tue etwas für die Ärmsten. Später kamen auch andere Slogans als Aufdruck dazu, etwa "Atomkraft, nein danke!"
Die später vielfach als Stilsünde verspotteten Jutetaschen prägten in diesen Jahren nicht nur visuell das Stadtbild und die Orte alternativen Lebens. Sie waren, vor allem bei Regenwetter, auch mit der Nase wahrnehmbar, denn sie verströmten einen recht strengen Geruch. Zudem reizten sie empfindliche Hände und hinterließen Fasern auf der Kleidung. Kein Wunder also, dass sie später von Baumwolltaschen abgelöst wurden...
Sonntag, 26. Mai 2013
TERMINSACHE NR. 33: Eisenbahn Spielen
Ein Kolloquium zum Abschluss eines Lehrforschungsprojekts zum Thema "Eisenbahn Spielen. Populäre Aneignungen und Inszenierungen des Schienenverkehrs in großen und kleinen Maßstäben" gibt es am 20. und 21. Juni 2013 am Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie an der Georg-August-Universität Göttingen (D).
Homepage der Tagung
Freitag, 24. Mai 2013
ANSICHTSSACHE NR. 25: Dreck im Tiroler Volkskunstmuseum
Handtuchhalter aus Kolsass, 2. Hälfte 19. Jh. (Foto: TLM) |
Das Tiroler Volkskunstmuseum widmet sich in seiner neuesten Ausstellung dem Thema Dreck.
Kuratiert von Herlinde Menardi und Karl C. Berger zeigt sie "schmutzige" Objekte ebenso wie "saubere", es geht also um den Dreck genauso wie um dessen Beseitigung.
Die Ausstellung behandelt das universelle Alltagsthema Schmutz am Beispiel Tirol, die meisten der gezeigten Exponate stammen aus den Beständen des Tiroler Volkskunstmuseums. Im Pressetext heißt es: Das Thema der Ausstellung passt wohl zu keiner anderen Stadt besser als zu Innsbruck: der Stadtteil St. Nikolaus wird hierzulande 'Koatlacken' - also Kotlache - genannt, während in Hötting, einem weiteren Stadtteil, die 'Surtaucher' daheim sind (Sur = Gülle, Jauche). Weiters wird der Geistliche Beda Weber zitiert, der im 19. Jahrhundert den Tiroler/inne/n eine besondere Affinität zu Dreck und Schmutz nachsagte: Eben so widerlich ist der Schmutz und die Unreinlichkeit der Alpleute. Sie tragen den ganzen Sommer ein einziges Hemd, und setzen ihren Stolz darin, allen Mitgenossen den Vorrang des unflätigsten Hemdes abzugewinnen, namentlich bei der Heimfahrt, wo sie den ekelsten Schmutz als Beweis rüstiger Alpenthätigkeit selbstgefällig zur Schau tragen.
Nun, derartige Aussagen sind zu verschiedenen Regionen und Bevölkerungsgruppen überliefert, dienten und dienen solche Kategorisierungen entlang von Schmutz und Sauberkeit doch häufig zur sozialen Ein- und Ausgrenzung, zur Definition des Eigenen und des Fremden - so schlimm wird es also mit den Tiroler/inne/n wohl nicht gewesen sein... Zumal auch in Tirol die unterschiedlichsten Methoden zur Schmutzbekämpfung gebräuchlich waren, wie die Liste der Exponate zeigt: Flohfallen und Leibstühle sind in der Ausstellung ebenso zu besichtigen wie Waschmaschinen und Badezuber.
Die Ausstellung "Dreck" ist in das Projekt "Hygieia - Kulturgeschichte der Hygiene", eine Initiative der Südtiroler Museen, eingebunden (Infos dazu hier).
Donnerstag, 23. Mai 2013
HÖRSACHE NR. 25: Ersttagsfahrschein der Wiener U-Bahn
©
Technisches Museum Wien
|
Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden.
Am 22. Mai 2013 begab sich die Sendung in das Jahr 1978 und beschäftigte sich mit der am 25. Februar eröffneten Wiener U-Bahn. Repräsentiert wird dieses groß angelegte städtebauliche und verkehrsplanerische Projekt durch einen Ersttagsfahrschein (Interview mit Peter Payer).
Website "Zum Greifen nah"
Zum Nachhören
Dienstag, 21. Mai 2013
TERMINSACHE NR. 32: Franz Kafka widerwillig in Wien
Nebenbei: Die Aussicht von Ihrem Schreibtisch geht auf das Postsparkassengebäude oder ist es die Aussicht aus dem Zimmer Ihrer Chefs? Wenn ich nicht irre, ist es von Otto Wagner gebaut und wurde früher sehr gelobt. Ich für meinen Teil aber kann mir sehr gut vorstellen, was für ein trostloses Gegenüber so ein aufdringlich absichtsvolles Gebäude sein muß. Es scheint kein anderes Ende für Absätze zu geben, als: weg von Wien.
So schrieb Franz Kafka im März 1914 an Grete Bloch nach Wien - ein Brief, in dem er seine Vorbehalte gegen diese Stadt einmal mehr zum Ausdruck brachte und unter anderem an der Postsparkasse festmachte. Einige Monate zuvor hatte er an Grete Bloch bereits geschrieben: Nach Wien möchte ich für meinen Teil nicht, auch nicht im Mai. Es war für mich gar zu häßlich dort.
Warum es Kafka in Wien nicht gefiel, erfährt man nun in ausführlicher Form im neuen Buch von Hartmut Binder: "Kafkas Wien. Portrait einer schwierigen Beziehung" (Vitalis Verlag, 2013). Reich illustriert und akribisch recherchiert, voll mit Zitaten von Kafka selbst und von zahlreichen Zeitgenoss/inn/en.
Am Donnerstag, den 23. Mai 2013, um 19 Uhr stellt Hartmut Binder in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur (Herrengasse 5, 1010 Wien) den Band vor, es moderiert Manfred Müller.
Donnerstag, 16. Mai 2013
DRUCKSACHE NR. 15: Vom Käseigel zum Cupcake
Abb. aus: Erna Horn: Kalt, bunt und lecker. Ein zeitnahes Lehrwerk der modernen Kalten Küche für Hausfrau und Gewerbe, 1959. |
Noch einmal Kalte Platten: Wie in meinem Katalogbeitrag für die diesjährige Niederösterreichische Landesausstellung "Brot & Wein" (siehe Ansichtssache Nr. 24) ging es auch in einem Beitrag mit dem Titel "Der lange Weg vom Käse-Igel zum Cupcake", für den ich von Sabine Mezler-Andelberg für Die Presse interviewt wurde, unter anderem um die Kalte Platte, die in den 1950er und 1960er Jahren einen wahren Boom erlebte (Artikel auf diepresse.com, 25.8.2012).
Ich habe mir dort erlaubt, die derzeitige Cupcakewelle als eine Art süße Fortsetzung der historischen Kalte Platten-Mode zu interpretieren: In beiden Fällen geht es um die Ästhetisierung von Essen und um die Strategie, aus simplen und preisgünstigen Grundzutaten aus Getreide (Brot bzw. Rührteigkuchen) mit Hilfe einer phantasievollen und meist recht fetthaltigen Dekoration (Mayonnaise bzw. Buttercreme oder Schlagobers) etwas Eindrucksvolles zu schaffen (wobei jeweils selbst kleinste Reste eine Verwertung finden können). Die schön garnierten und bunten Kalten Platten waren der kleine Luxus, den man sich im beginnenden "Wirtschaftswunder" leisten konnte. Und die Cupcakes - wer weiß, vielleicht werden sie in ein paar Jahren als Ausdruck einer im opulenten Gewand daher kommenden neuen Bescheidenheit gesehen. Darauf, dass sowohl Kalte Platten als auch Cupcakes als Signaturen ihrer Zeit gelesen werden können, verweist meines Erachtens nicht zuletzt die Tatsache, dass sie zu jenen Phänomenen der Esskultur zählen, die von einer bemerkenswerten Fülle an monographischer Kochbuchliteratur und unzähligen Rezeptvorschlägen in verschiedenen anderen Medien begleitet werden.
Mittwoch, 15. Mai 2013
ANSICHTSSACHE NR. 24: Brot & Wein Niederösterreichische Landesausstellung
Abb. aus: Erna Horn: Kalt, bunt und lecker. Ein zeitnahes Lehrwerk der modernen Kalten Küche für Hausfrau und Gewerbe, 1959. |
Die diesjährige Niederösterreichische Landesausstellung ist dem Thema Brot & Wein gewidmet. Zu sehen (noch bis 3. November 2013) ist sie an zwei Standorten: der Wein in Poysdorf, das Brot im Urgeschichtemuseum Niederösterreich in Asparn an der Zaya.
Beim Brot bin ich mit einigen Leihgaben (Ratgeber aus den 1950er Jahren für Kalte Platten - aus einem von ihnen stammt obige Abbildung) und mit einem Katalogbeitrag vertreten:
Susanne Breuss: Vom Überlebens- zum Genussmittel. Brot und Gebäck in der Nachkriegs- und "Wirtschaftswunder"-Küche. In: Schallaburg Kulturbetriebs.ges.m.b.H./Hannes Etzlsdorfer/Matthias Pfaffenbichler/Christian Rapp/Franz Regner (Hg.): Brot & Wein. Niederösterreichische Landesausstellung 2013. 2 Bde. Schallaburg 2013. Band Brot, S. 225-228.
Montag, 13. Mai 2013
HÖRSACHE NR. 24: Tramperrucksack
© Wien Museum
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Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit
dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie
„Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge
aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden.
Am 13. Mai 2013 begab sich die Sendung in das Jahr 1975 und
beschäftigte sich mit dem Tramperrucksack (Interview mit Werner M. Schwarz). Dabei handelt es sich gleichsam um ein "aufquellendes Objekt", denn bei Bedarf kann es sich ausdehnen und jene Dinge aufnehmen, die während der Reise dazu kommen. Der Tramperrucksack stand in den siebziger Jahren für eine "freiere" Art des Reisens, das Trampen als "vogelfreies" Unterwegssein und Symbol für jugendliches Aussteigertum versprach authentischere Erfahrungen und besondere Erlebnisse. Das 1972 eingeführte Interrail-Ticket diente als eine Art Kompromiss, denn es vermochte besorgte Eltern ebenso zu beruhigen wie es den Reise- und Welterfahrungsgelüsten der Jugend finanziell entgegen kam.
Samstag, 11. Mai 2013
FOTOSACHE NR. 16: Mütterlichkeit als Beruf
© Archiv
Susanne Breuss
|
Was zeigt diese Fotografie
aus den 1950er Jahren? Eine glückliche Mutter mit Kind, wie es sich gehört? Solche normativen, klischeehaften Bilder
sind nicht nur in unseren Fotosammlungen, sondern auch in unseren Köpfen fest
verankert. Was dieses Bild nahe zu legen scheint, wird mit dem Wissen um seinen
Entstehungskontext allerdings relativiert.
Das Foto gehört zu einer Serie von
Aufnahmen, die im Garten eines Säuglingsheimes, einer Kinderklinik oder einer
ähnlichen Einrichtung entstanden sind. Die Frauen auf den Fotos treten allesamt als „Mütter“ auf, nämlich als Berufsmütter. Sie pflegen
und betreuen die ihnen anvertrauten Kleinkinder, weil dies ihre bezahlte
Tätigkeit ist. Sie fungieren als Mutterersatz, weil die leiblichen Mütter nicht zur Verfügung stehen. Erkennbar ist die hier abgebildete Ersatzmutter
als solche erst auf den zweiten Blick: sie trägt einen weißen Arbeitskittel. Der Ehering an der linken Hand weist sie als
verheiratete Frau aus. Ob sie auch eigene Kinder hat, ist nicht bekannt. Jedenfalls beherrscht sie offenbar das Repertoire an mütterlichen Gesten, wie das Foto
beweist.
Mütterlichkeit als Beruf – diese Vorstellung von weiblicher Erwerbstätigkeit wurzelt in der bürgerlichen Frauenbewegung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurzelt. Gemäß jenem konservativen Emanzipationsmodell sollten bürgerliche Frauen primär ihrer weiblichen Rolle entsprechend berufstätig sein. Möglichkeiten dazu eröffneten sich auf dem Gebiet der Sozialarbeit und -reform. Der Handlungsbedarf war angesichts grassierender Industrialisierungs- und Urbanisierungsprobleme wie Armut, Wohnungsnot, Hygienemängel, Krankheit und Jugendverwahrlosung groß, zumal die traditionellen Sicherungs- und Fürsorgesysteme nicht mehr ausreichten. Im Zuge der Bürokratisierung und Verwissenschaftlichung der sozialen Arbeit gewannen Frauen nun eine spezifische Bedeutung. Die ihnen aufgrund ihres Geschlechts zugesprochene „natürliche“ Fürsorglichkeit und Mütterlichkeit ließen sie für dieses wie auch für die Krankenpflege besonders geeignet erscheinen. Mit der Professionalisierung der Mütterlichkeit – auf beruflicher wie auf ehrenamtlicher Ebene – war zudem eine Art Kulturmission verknüpft: mütterliche Wärme und Emotionalität sollten als Gegengewicht zur kapitalistischen Rationalität und als Basis sittlicher Erneuerung dienen.
Mütterlichkeit als Beruf – diese Vorstellung von weiblicher Erwerbstätigkeit wurzelt in der bürgerlichen Frauenbewegung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurzelt. Gemäß jenem konservativen Emanzipationsmodell sollten bürgerliche Frauen primär ihrer weiblichen Rolle entsprechend berufstätig sein. Möglichkeiten dazu eröffneten sich auf dem Gebiet der Sozialarbeit und -reform. Der Handlungsbedarf war angesichts grassierender Industrialisierungs- und Urbanisierungsprobleme wie Armut, Wohnungsnot, Hygienemängel, Krankheit und Jugendverwahrlosung groß, zumal die traditionellen Sicherungs- und Fürsorgesysteme nicht mehr ausreichten. Im Zuge der Bürokratisierung und Verwissenschaftlichung der sozialen Arbeit gewannen Frauen nun eine spezifische Bedeutung. Die ihnen aufgrund ihres Geschlechts zugesprochene „natürliche“ Fürsorglichkeit und Mütterlichkeit ließen sie für dieses wie auch für die Krankenpflege besonders geeignet erscheinen. Mit der Professionalisierung der Mütterlichkeit – auf beruflicher wie auf ehrenamtlicher Ebene – war zudem eine Art Kulturmission verknüpft: mütterliche Wärme und Emotionalität sollten als Gegengewicht zur kapitalistischen Rationalität und als Basis sittlicher Erneuerung dienen.
Dieser Text erschien erstmals als:
Susanne Breuss: Mütterlichkeit als Beruf (= Fotoglosse schwarz & weiß). In: Wiener Zeitung Extra, 17. Mai 2008, S. 2.
Mittwoch, 8. Mai 2013
FORSCHUNGSSACHE NR. 4: Datenbanken des Technischen Museums Wien zu Kraftfahrzeugen in Österreich in den 1930er und 1940er Jahren
Im Technischen Museum Wien wurden im Rahmen eines Forschungsprojekts unter der Leitung von Christian Klösch Quellen zur Geschichte des Kraftfahrzeugbesitzes in Österreich in den 1930er und 1940er Jahren ausgewertet und über Datenbanken erschlossen:
Die Datenbank "Historische KFZ-Verzeichnisse" umfasst derzeit über 69.000 Fahrzeuge (PKW, LKW, Motorräder) aus der Zeit um 1938, jene zu "NS-KFZ-Raub" enthält rund 3.000 Fahrzeuge, die 1938 seitens der Nationalsozialisten von der jüdischen Bevölkerung und von Regimegegnern geraubt wurden.
Datenbank Historische KFZ-Verzeichnisse
Datenbank NS-KFZ-Raub
Dienstag, 7. Mai 2013
HÖRSACHE NR. 23: Das BIC-Feuerzeug
© Technisches Museum Wien |
Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit
dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie
„Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge
aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden.
Heute begab sich die Sendung in das Jahr 1973 und
beschäftigte sich mit dem BIC-Feuerzeug - einem billigen Wegwerffeuerzeug aus Kunststoff, das in diesem Jahr von einer französischen Firma auf den Markt gebracht wurde und das sich nicht nur zum Designklassiker entwickelte, sondern auch zu einem Symbol für die Wegwerfgesellschaft (Interview mit Christian Stadelmann).
Zum Nachhören
Montag, 6. Mai 2013
DRUCKSACHE NR. 14: Zum 50. Todestag von Veza Canetti
Als die Prokops Rußland verließen, versteckten sie ihren Schmuck auf folgende Art und Weise. Bobby, der Sohn, hielt in der Hand einen ausgehöhlten Stock, dick wie er selbt. In die Höhlung kamen Smaragde, Rubine und fleckenreine Diamanten. Frau Prokops Schirmgriff war ein Mops mit einer Krause. In seinem Kopf ruhten zwei Paar Ohrgehänge. Tamara, die Tochter, trug einen Herrenschirm. Im Griff schlängelte sich eine Rivière. Die Messerklinge zum Schneiden des Fleisches klappte in ein breites Gehäuse. Es barg ein Vermögen. Nur Ljubka, die Waise, hatte nichts bei sich. Neben ihr lagen die Lebensmittel, und Frau Prokop gab ihr auch noch die Weißbrötchen in Verwahrung.
So beginnt die Erzählung "Geduld bringt Rosen" der 1897 geborenen Wiener Autorin Veza Canetti, die ab 14. August 1932 in Fortsetzungen in der Arbeiter-Zeitung erschien (unter einem ihrer Pseudonyme, Veza Magd). Auf der selben Seite, auf der Teil 1 erschien, wimmelte es von Anzeigen. Da wurde geworben für Tiroler Zirbel-Wohnküchen, die im Möbelhaus Weiss in der Neubaugasse in "einer sehenswerten Ausstellung" frei zu besichtigen waren. Das Möbelhaus Thüer in der Kaiserstraße bot "Möbel staunend billig!" an, und von einer Barackendemolierung in Jedlesee waren Fenster, Türen, Kantholz und Bretter billigst zu besorgen. Wer günstige Kleidungsstücke, Pelze, Wäsche, Schuhe, Gold- und Silberwaren zu kaufen beabsichtigte, konnte an mehreren Adressen die "Schaustellung verfallener Pfänder" besichtigen. Wie ein Echo auf die Geschichte von den Prokops wirkt schließlich die Reklame für den Abverkauf der Damenkonfektion des Warenhauses Gerngross: "Es darf kein Stück zurückbleiben".
Nicht nur diese Werbeanzeigen, auch Veza Canettis sozialkritische Erzählungen, Romane und Stücke erzählen vorrangig vom Alltag jener Menschen, die ihr Leben unter schwierigen Bedingungen fristen müssen, für die der sparsame Umgang mit Ressourcen eine notwendige Überlebensstrategie ist. Die Brötchen, die Ljubka von ihrer einstmals sehr wohlhabenden Tante zugesteckt bekommt, erweisen sich als Verstecke für weitere Schmuckstücke - die mittellose Nichte wird unwissend zum Schmuggel der verbliebenen Wertgegenstände über die Grenze missbraucht, ein Vergehen, auf das die Todesstrafe steht. Die Lektion aus der Geschichte: Wer arm ist, darf nicht mit selbstlosen Zuwendungen rechnen.
Auch in anderen Texten von Veza Canetti spielen Dinge eine wichtige Rolle: Sie symbolisieren die soziale Stellung der Protagonisten, sie stehen für eine spezifische Lebenssituation, sie sind - wie im Fall der Prokops - Hoffnungs- und Erinnerungsträger, oder - wie im Fall der entstellten Figur Runkel in "Die gelbe Straße" - ein herbeigesehntes Mittel, das eigene elende Leben zu beenden, wenn diese nichts anderes wünscht, "als ein schwerer Lastwagen, ein Viehwagen, eine Tausend-Kilo-Walze oder eine vierfache Straßenbahn möge über ihren fürchterlichen Körper fahren und ihn zermalmen."
Zum 50. Todestag von Veza Canetti (sie starb am 1. Mai 1963 in London) erschien in der Wiener Zeitung ein Beitrag von Evelyne Polt-Heinzl ("Alltagsdramen der Schwachen", Wiener Zeitung.at, 26.4.2013), in Die Presse ein Beitrag von Petra Ganglbauer ("Ein Leben als Magd", Die Presse.com, 26.4.2013) und die Radioreihe Leporello auf Ö1 brachte am 6. Mai 2013 einen von Irene Suchy gestalteten Beitrag (Zum Nachhören).
Neben den großteils in den 1930er Jahren geschriebenen und teilweise erst posthum publizierten literarischen Werken Veza Canettis (Die gelbe Straße, Geduld bringt Rosen, Der Fund, Der Oger, Die Schildkröten) wärmstens zu empfehlen: Der Briefwechsel zwischen ihr, Elias Canetti und dessen Bruder Georges (Veza Canetti/Elias Canetti: Briefe an Georges, München 2006, Carl Hanser Verlag) - hier erweist sie sich einmal mehr als eine scharfzüngige und oft sehr witzige Meisterin in der Schilderung von Alltagsszenen.
Sonntag, 5. Mai 2013
TERMINSACHE NR. 31: Revolver und Pistolen
Vortrag und Diskussion:
Dagmar Ellerbrock (Max-Planck-Institut Berlin):
Doing Gender.
Staatliche Regulierung und private Schusswaffen am Beginn des 20. Jahrhunderts
Donnerstag, 16. Mai 2013, 18:30
Hörsaal 1, Institut für Politikiwssenschaft/Uni Wien (A212)
Universitätsstrasse 7/2. Stock
1010 Wien
Ankündigungstext:
Private Schusswaffen waren im Deutschen Kaiserreich nicht nur weitverbreitet, sondern auch vielgenutzt. Politische Initiativen, die privaten Revolver und Pistolen rechtlich zu regulieren gab es kaum. Warum die Schüsse der Revolverknaben lange Zeit (politisch) ungehört blieben und weshalb „Mr. Browning und seine Konsumenten“ schließlich doch qua Waffenrecht zur Raison gebracht wurden, erläutert der Vortrag.
Samstag, 4. Mai 2013
ANSICHTSSACHE NR. 23: Schuhe mit Geschichten
Damenschuhe, 1730 Seide, Ziegenleder, Metallstickerei, Foto: Foto Wohlgemuth, Graz |
Im Grazer Museum im Palais (Universalmuseum Joanneum) ist noch bis 12. Jänner 2014 die von Eva Marko kuratierte Ausstellung "Ihr Auftritt! Schuhe mit Geschichten" zu sehen.
Siehe dazu auch das Interview mit der Kuratorin auf diepresse.com - hier erläutert sie u. a., warum Graz als "Schuhstadt" gilt.
Freitag, 3. Mai 2013
FUNDSACHE NR. 19: Achim Landwehr bloggt über die Alltäglichkeit des Historischen
Anton Tantner verdanke ich den Hinweis auf den interessanten Blog, den der an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf tätige Historiker Achim Landwehr kürzlich gestartet hat:
Geschichte wird gemacht. Über die Alltäglichkeit des Historischen
Einer der ersten Beiträge beschäftigt sich mit der Musealisierung der Mütze eines deutschen Ministers, ein anderer mit den durch eine Krimiserie im Fernsehen vermittelten Geschichtslektionen.
Mittwoch, 1. Mai 2013
FOTOSACHE NR. 15: Der Brand der Rotunde im Wiener Prater - das Ende des Wahrzeichens der Weltausstellung von 1873
© Archiv
Susanne Breuss
|
Heute vor 140 Jahren, am 1. Mai 1873 wurde in Wien die Weltausstellung eröffnet. Von den Hauptgebäuden des Areals im Prater war zu diesem Zeitpunkt allerdings erst die Rotunde fertig.
Dieser imposante und „wunderliche Bau“ oder „Blechhaufen“, wie ihn die erstaunten und irritierten Zeitgenossen nannten, war das zentrale Bauwerk des Weltausstellungsgeländes. Das Grundkonzept für den kreisrunden Kuppelbau stammte von dem englischen Schiffsbauingenieur John Scott-Russell und sollte die Leistungsfähigkeit moderner Eisenkonstruktionen demonstrieren. Da er entgegen den Vereinbarungen keine detaillierten Baupläne lieferte, mussten seine Skizzen in Wien überarbeitet und in eine realisierbare Form gebracht werden. Baubeginn war der Winter 1871. Mit dem Aushubmaterial wurde der heute noch bestehende Konstantinhügel angelegt.
Bis zu ihrer Zerstörung blieb die Rotunde der weltweit größte Kuppelbau. Die Rundbaukonstruktion ohne Zwischenstütze gilt bis heute als ein Meisterwerk der Ingenieurskunst. Allein der Zentralraum hatte ein Fassungsvermögen von 20.000 Personen, insgesamt betrug die Kapazität sogar das Doppelte. Abgeschlossen wurde die Kuppel in 85 Metern Höhe von einer fast 4.000 Kilogramm schweren Nachbildung der österreichischen Kaiserkrone. Über einen hydraulischen Aufzug und eine Wendeltreppe konnte das Dach der Kuppel bestiegen werden – angesichts der guten Aussicht eine beliebte Besucherattraktion. Nach dem Ende der Weltausstellung diente die Rotunde weiterhin als Ausstellungshalle.
Das obige Foto zeigt die Rotunde nachdem sie am 17. September 1937, kurz nach dem Ende der Herbstmesse, durch einen Brand innerhalb nur einer Stunde zerstört wurde. Die weithin sichtbaren Rauchsäulen hatten damals die Wiener Bevölkerung mobilisiert, tausende Schaulustige waren ausgezogen, um diesem katastrophalen Ereignis beizuwohnen. Auch hochrangige Politiker wie Bundespräsident Miklas und Bundeskanzler Schuschnigg waren vor Ort. Sowohl für Profi- als auch für Amateurfotografen war der Brand ein spektakuläres Fotomotiv. Die hier abgebildete Amateuraufnahme stammt aus einem Familienalbum, das der Brandruine eine ganze Seite mit mehreren Fotos widmete. Im Zentrum des Bildes ist der Rest des mächtigen Haupt- bzw. Südportals zu sehen. Darauf hatte sich eine Inschrift befunden, die mit den Worten „Ein Wunderwerk der Technik von kühnem Geist ersonnen“ begann.
Texte:
Susanne Breuss: Von kühnem Geist ersonnen (= Fotoglosse schwarz & weiß). In: Wiener Zeitung Extra, 18./19.9.2010. S. 11.
Stefan Konrath: Der Blechhaufen von Wien. Eine Studie über die wirtschaftliche und kulturhistorische Bedeutung der Wiener Rotunde. Diplomarbeit Universität Wien 2008.
Ausstellung:
Im Wiener Bezirksmuseum Leopoldstadt ist noch bis zum 30. Juni 2013 eine Ausstellung über die Rotunde zu sehen.
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