"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Donnerstag, 16. Mai 2013

DRUCKSACHE NR. 15: Vom Käseigel zum Cupcake


Abb. aus: Erna Horn: Kalt, bunt und lecker. Ein zeitnahes Lehrwerk der modernen Kalten Küche für Hausfrau und Gewerbe, 1959.


Noch einmal Kalte Platten: Wie in meinem Katalogbeitrag für die diesjährige Niederösterreichische Landesausstellung "Brot & Wein" (siehe Ansichtssache Nr. 24) ging es auch in einem Beitrag mit dem Titel "Der lange Weg vom Käse-Igel zum Cupcake", für den ich von Sabine Mezler-Andelberg für Die Presse interviewt wurde, unter anderem um die Kalte Platte, die in den 1950er und 1960er Jahren einen wahren Boom erlebte (Artikel auf diepresse.com, 25.8.2012).

Ich habe mir dort erlaubt, die derzeitige Cupcakewelle als eine Art süße Fortsetzung der historischen Kalte Platten-Mode zu interpretieren: In beiden Fällen geht es um die Ästhetisierung von Essen und um die Strategie, aus simplen und preisgünstigen Grundzutaten aus Getreide (Brot bzw. Rührteigkuchen) mit Hilfe einer phantasievollen und meist recht fetthaltigen Dekoration (Mayonnaise bzw. Buttercreme oder Schlagobers) etwas Eindrucksvolles zu schaffen (wobei jeweils selbst kleinste Reste eine Verwertung finden können). Die schön garnierten und bunten Kalten Platten waren der kleine Luxus, den man sich im beginnenden "Wirtschaftswunder" leisten konnte. Und die Cupcakes - wer weiß, vielleicht werden sie in ein paar Jahren als Ausdruck einer im opulenten Gewand daher kommenden neuen Bescheidenheit gesehen. Darauf, dass sowohl Kalte Platten als auch Cupcakes als Signaturen ihrer Zeit gelesen werden können, verweist meines Erachtens nicht zuletzt die Tatsache, dass sie zu jenen Phänomenen der Esskultur zählen, die von einer bemerkenswerten Fülle an monographischer Kochbuchliteratur und unzähligen Rezeptvorschlägen in verschiedenen anderen Medien begleitet werden.

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