"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Dienstag, 23. April 2013

DRUCKSACHE NR. 13: Plastikfreie Zone in einem steirischen Haushalt - ein Experiment


In einem kleinen Ort in der Nähe von Graz wird seit einigen Jahren etwas gelebt, das man unter den heute herrschenden Rahmenbedingungen kaum für möglich hält: Der Haushalt Krautwaschl-Rabensteiner präsentiert sich als eine weitgehend plastikfreie Zone.
Ausgelöst durch den Dokumentarfilm „Plastic Planet“ von Werner Boote, in dem die Besorgnis erregenden Auswirkungen der massenhaft produzierten Kunststoffe auf Umwelt und Gesundheit drastisch vor Augen geführt werden, startete die steirische Physiotherapeutin Sandra Krautwaschl gemeinsam mit ihrer Familie Ende 2009 ein Experiment: Für zunächst einen Monat lang wollte sie versuchen, ihr Alltagsleben von Kunststoffen möglichst frei zu halten.

Schon die ersten Überlegungen und Vorbereitungen machten klar: Leichter gesagt als getan. Das fing damit an, dass zunächst einmal wahre Berge an Gegenständen weggeräumt werden mussten und die teils recht aufwendige Suche nach Alternativen schnell die Frage aufwarf, wie viel Zeit in so ein Experiment überhaupt sinnvoll investiert werden kann. Außerdem stellte sich bald heraus, dass ein völliger Verzicht auf Kunststoffe nur unter unverhältnismäßigen Einschränkungen zu praktizieren wäre. Während manche Haushaltsgegenstände wie Kochlöffel oder Behälter noch problemlos gegen solche aus anderen Materialien ausgewechselt werden konnten, erschien es wenig sinnvoll, auf Geräte wie Kühlschrank und Computer zu verzichten oder keine Glaskonserven und Bierflaschen zu kaufen, weil die Innenseiten der Metallverschlüsse meist eine dünne Kunststoffbeschichtung aufweisen.

In ihrem Buch beschreibt Sandra Krautwaschl den ebenso mühsamen und hindernisreichen wie spannenden, lehrreichen und letztlich äußerst befriedigenden Weg einer „ganz normalen Familie“ hin zu einem bewussten Umgang mit einer Materialsorte, die zweifelsohne eine Reihe willkommener Eigenschaften besitzt, deren negative Seiten von der Durchschnittsbevölkerung jedoch kaum wahrgenommen oder gar problematisiert werden.
Das Buch versteht sich primär als Erfahrungsbericht und praktische Anleitung für einen möglichst kunststoffarmen Alltag. Erfolge und Probleme bei der Umstellung werden ebenso geschildert wie die Suche nach alternativen Produkten und Bezugsquellen oder die Reaktionen von Verwandten und Bekannten, Herstellern und Händlern.

Was das Buch darüber hinaus interessant macht, ist seine Eigenschaft als eindrucksvolles Dokument gegenwärtigen Alltagslebens: Indem die Autorin sehr genau, selbstkritisch und teilweise ironisch die Alltagspraxis ihrer Familie beschreibt und reflektiert, den Umgang mit Dingen, Konsumgewohnheiten und Bedürfnissen sowie die Veränderungsprozesse im Denken und Handeln während des (bis heute andauernden) Experiments sehr anschaulich nachvollziehbar macht, kann der Text auch als eine Art ethnografische Studie gelesen werden. Jedenfalls bietet das Buch wertvolles Quellenmaterial für eine Kulturgeschichte der Kunststoffe sowie der Lebens- und Konsumformen zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Sandra Krautwaschl: Plastikfreie Zone. Wie meine Familie es schafft, fast ohne Kunststoff zu leben. München 2012 (Wilhelm Heyne Verlag).



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