"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Montag, 5. November 2012

HÖRSACHE NR. 2: Staubsauger - Moderne Vampire und Kobolde

Werbeanzeige für den AEG-Staubsauger "Vampyr", 1927 
(Archiv Susanne Breuss)

In den 1920er Jahren kamen die ersten massentauglichen elektrischen Staubsauger auf den Markt, die bequem von einer Person bedient werden konnten (die zuvor entwickelten Modelle waren meist groß, schwer, unhandlich und sehr teuer). Als Nutzerinnen dieser Geräte waren die Hausfrauen vorgesehen – eine Bevölkerungsgruppe, der man pauschal eine gewisse Scheu, wenn nicht gar Angst vor moderner Technik attestierte.

Damit sich der Staubsauger zum „besten Freund der Hausfrau“, so ein zeitgenössischer Haushaltsratgeber, entwickeln konnte, wurden nicht nur seine hygienischen und die Arbeit erleichternden Vorteile gegenüber den traditionellen Formen der Staubbekämpfung mit Hilfe von Besen, Tüchern und Teppichklopfern hervorgehoben. Eine verbreitete Strategie, dieses neue Gerät an die Frau zu bringen, war auch der Einsatz von Begriffen und Bildern, die den Staubsauger als Lebewesen darstellten.

So erschien der Staubsauger als ein „arbeitendes“, „fleißiges“, „tüchtiges“, „unermüdliches“, „hilfsbereites“, „treues“ und „braves“, somit als eine Art tugendhaft handelndes Subjekt, ausgestattet mit „Organen“, „Magen“, „Wanst“ und „Mundstück“, mit denen er den Staub „saugt“, „schluckt“, „verschlingt“ und „frisst“. Weiters trat er in Gestalt von treuen Dienern, guten Geistern, Zwergen, Heinzelmännchen, Kobolden und Zauberern auf. Auch der Vergleich mit der „emsigen Biene“ diente dazu, das ungewohnte technische Gerät in eine Reihe mit bekannten und anerkannten Helfern und Nützlingen des Menschen zu stellen. Um drastisch zu illustrieren, wie der Staubsauger dem Staub den Garaus macht, wurde auch zu negativ konnotierten Figuren wie Teufeln und Vampiren gegriffen, was sich nicht zuletzt bei der Namensgebung von Staubsaugermarken niederschlug.

Kobolde, Heinzelmännchen und ähnliche Gestalten zählen zu den ältesten und bekanntesten hilfreichen Wesen des Volksglaubens und der Volksmythologie. So wie die guten Hausgeister sind auch die Staubsauger fleißig, flink, gründlich, ordentlich und reinlich und sorgen für das Glück und Wohlergehen der Hausbewohner. Ebenso wie die Hausgeister müssen die Staubsauger pfleglich behandelt werden, damit sie ihr segensreiches Wirken nicht einstellen oder gar bösen Schabernack treiben – einschlägige Verweise finden sich in zeitgenössischen Quellen zuhauf.

Der direkte und häufige Bezug auf solche populäre mythische, sagen- und märchenhafte Gestalten ist als ein Mittel zu verstehen, ein neues und zuvor völlig unbekanntes technisches Gerät in einen vertrauten Kontext zu stellen und an gängige Vorstellungswelten anzuknüpfen. Sicher nicht zufällig wurde gerade für die Zielgruppe der weiblichen Technikkonsumenten auf derartige Überlieferungen zurückgegriffen, um ihr die moderne Technik nahe zu bringen: die Formulierung des weiblichen Geschlechtscharakters seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert wies den Frauen u. a. Traditionsverbundenheit als wesentliche Eigenschaft zu, sie galten als die eigentlichen Trägerinnen und Bewahrerinnen traditioneller Kultur.

Zudem verweist diese Strategie auf ein den Frauen unterstelltes mangelndes Technikverständnis: anstatt die Hausfrauen mit technischen Funktionsweisen und Details vertraut zu machen, wurde Technik lieber mit Magie und Zauber in Verbindung gebracht, der Staubsauger als ein wundersames Wesen präsentiert – ohne dabei allerdings den Anteil der Herren Erfinder und Ingenieure an diesen Wundern der Technik zu verschweigen.



Radiosendung:
Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden. 
http://oe1.orf.at/artikel/321703
Heute ging es in der Sendung um den Staubsauger "Vampyr" aus dem Jahr 1925 (Interview mit Susanne Breuss).  
http://oe1.orf.at/konsole?show=ondemand [abhörbar 7 Tage ab heute]

Texte:
Susanne Breuss: „Verliebt in einen Kobold“. Zur kulturellen Konstruktion haushaltstechnischer Konsumgüter – am Beispiel des Staubsaugers. In: Dies./Franz X. Eder (Hg.): Konsumieren in Österreich. 19. und 20. Jahrhundert. Innsbruck/Wien/Bozen 2006. S. 124-146. 
http://vgs.univie.ac.at/_TCgi_Images/vgs/20061115140923_QS21Breuss.pdf
Susanne Breuss: Wunschmaschine Staubsauger. In: Forum Ware. Internationale Zeitschrift für Warenlehre, H. 1-4/2002, S. 24-30.
Susanne Breuss: Wozu Staubsauger? Gebrauchsentwürfe und Bedeutungszuschreibungen in der Innovationsphase. In: Forum Ware. Internationale Zeitschrift für Warenlehre, H. 1-4/2003. S. 19-23.
Susanne Breuss: Siegeszug des Staubschluckers. In: Wiener Zeitung Extra, 22.6.2007.
Susanne Breuss: Die Stadt, der Staub und die Hausfrau. Zum Verhältnis von schmutziger Stadt und sauberem Heim. In: Olaf Bockhorn u. a. (Hg.): Urbane Welten. Referate der Österreichischen Volkskundetagung 1998 in Linz. Wien 1999. S. 353-376.

Ausstellung:
In der Dauerausstellung des Technischen Museums Wien sind in der Abteilung „Alltag – eine Gebrauchsanweisung“ zahlreiche historische Staubsaugermodelle zu sehen.

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