"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Montag, 26. November 2012

HÖRSACHE NR. 5: "Arme-Leute-Butter" – Margarinekonsum und Wirtschaftskrise


Werbeanzeige, 1931 (Archiv Susanne Breuss)


Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden.
Heute ging es in der Sendung um ein Email-Werbeschild für Thea-Margarine aus dem Jahr 1930 und um die Bedeutung des Margarinekonsums zur Zeit der Weltwirtschaftskrise nach 1929 (Interview mit Susanne Breuss).


Werbeschild für Thea, um 1930
Foto: © Wien Museum


Margarine zählte im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zu jenen Markenprodukten, die massiv beworben wurden – im Stadtbild machten vor allem farbenfrohe Emailschilder auf dieses als preisgünstiges Butter-Surrogat bereits im 19. Jahrhundert entwickelte Nahrungsmittel aufmerksam. Mit der Industrialisierung war es insbesondere in den städtischen Ballungsräumen zu einer "Fettlücke" gekommen und durch das Auseinanderfallen von Arbeits- und Wohnort fand nun das belegte oder beschmierte Brot als von zuhause mitgenommene Jause weite Verbreitung.

Anfänglich stellten Seifen- und Kerzenproduzenten Margarine her, denn für alle diese Produkte diente Fett als wichtiger Rohstoff. In Österreich waren dies etwa die Liesinger Firma Sarg oder die Penzinger Firma Apollo mit der "Wiener Sparbutter" bzw. der "Prima Wirtschaftsbutter".
"Thea" wurde 1923 von den Kunerolwerken in Wien-Liesing mit großem Werbeaufwand als erste österreichische Margarinemarke eingeführt. Der Name wurde im Rahmen eines Preisausschreibens ermittelt – eine sehr geschickte Strategie, da so das neue Produkt schon bekannt war, noch bevor man es kaufen konnte.

In Österreich vermochte sich industriell hergestelltes Streich- und Kochfett zunächst nicht so gut durchzusetzen wie etwa in den nördlichen Regionen Deutschlands (weshalb nach 1938 die Deutschen als "Margarinefresser" galten und das Fett selbst als "Hitlerbutter" bezeichnet wurde). Doch angesichts der Wirtschaftskrise stieg in den Jahren nach 1929 auch hierzulande der Margarineverbrauch deutlich an.

Die berühmte, im Jahr 1933 publizierte sozialwissenschaftliche Studie von Marie Jahoda, Paul Felix Lazarsfeld und Hans Zeisel "Die Arbeitslosen von Marienthal. Eine soziographische Studie über die Folgen langandauernder Arbeitslosigkeit" beschäftigte sich auch mit den durch die Arbeitslosigkeit bedingten Veränderungen im Nahrungsmittelkonsum. So ergab eine Analyse von Essenslisten unter anderem Veränderungen beim Margarineverzehr: Durch die finanziellen Einschränkungen wurde nicht nur mehr Margarine konsumiert (auch von solchen Personenkreisen, die sie zuvor gemieden hatten), bevorzugt wurden nun auch preiswertere Sorten und kleinere Verpackungseinheiten. Slogans wie jener auf dem Thea-Emailschild von 1930 ("Schmeckt wie feinste Teebutter") sollten wenigstens die Illusion des Echten vermitteln. 


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