"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Montag, 19. November 2012

HÖRSACHE NR. 4: Die Banane - Nahrungsmittel und Kultobjekt


Werbeanzeige, 1927 (Archiv Susanne Breuss)


1928 kam der erst wenige Jahre zuvor berühmt gewordene Tanz- und Gesangstar Josephine Baker für ein von Moral- und Sittenwächtern beinahe verhindertes und skandalumwittertes Gastspiel nach Wien. Zu Bakers Markenzeichen zählte nicht nur die als „wild“ und akrobatisch empfundene Tanzkunst, sondern auch ihr freizügiges Outfit. Insbesondere das Bananenröckchen, das sie beim „Bananentanz“ trug, erlangte Kultstatus.
Bananen waren damals in unseren Breitengraden zwar nicht mehr völlig neu, doch nun traten die ehemaligen Luxusfrüchte erstmals in den Konsumhorizont breiterer Bevölkerungsschichten. Technische Neuerungen in der Schifffahrt und ausgeklügelte moderne Transport-, Lager- und Logistiksysteme machten die empfindliche Frucht aus den tropischen und subtropischen Weltregionen nun auch in Europa zu einem immer alltäglicher werdenden Nahrungsmittel. Billig war sie allerdings noch immer nicht, weshalb sie in der Regel pro Stück verkauft wurde.

Die Importeure und Händler starteten einen wahren Werbefeldzug, um die Banane auch in Österreich, einem Land der „schlechten Obstesser“, zu einem Volksnahrungsmittel zu machen (was im eigentlichen Sinn dann aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg gelingen sollte). Unterstützt wurden sie dabei von Ärzten und Ernährungsexperten, die den gesundheitlichen Wert der leicht verdaulichen und sättigenden Banane hervorhoben. Außerdem galt die Banane wegen ihrer dicken Schale als hygienisch.
Der Verzehr von Obst wurde in diesen Jahren ganz allgemein stark propagiert. Wenige Jahre zuvor waren die Vitamine entdeckt worden, was zu einer Neubewertung von Obst führte, dem früher keine ernährungsphysiologische Bedeutung beigemessen wurde.
Darüber hinaus spielte die gelbe Frucht nicht zuletzt durch Josephine Baker, aber auch durch den beliebten Schlager „Ausgerechnet Bananen“ oder die zahlreich auf den Markt gebrachten Scherzpostkarten mit mehr oder weniger frivolen Bananenmotiven eine wichtige Rolle in der Populärkultur. Baker war angeblich übrigens ein großer Fan der Schoko-Bananen von Casali, und sie fand die völlig ungeniert in der Diktion der Zeit als „Nigger-Weichseln“ bezeichneten Pralinen der selben Wiener Firma „wirklich ausgezeichnet“.



Reklamefigur für Bananen, 1928
Foto: © Wien Museum

Radiosendung:
Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden.  
http://oe1.orf.at/artikel/321703
Heute ging es in der Sendung um die Banane und eine Bananen-Werbefigur aus dem Jahr 1928 (Interview mit Susanne Breuss).

Texte:
Susanne Breuss: Exotische oder frivole Bananenmetaphorik? In: Wiener Zeitung Extra, 1.4.2006, S. 2.
Susanne Breuss: Banane. In: Wolfgang Kos (Hg.): Kampf um die Stadt. Politik, Kunst und Alltag um 1930. Ausstellungskatalog. Wien 2010. S. 563.

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