"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Montag, 12. November 2012

HÖRSACHE NR. 3: Die Puderdose als Instrument der Selbstkontrolle



Werbeanzeige für Gesichtspuder, 1924 (Archiv Susanne Breuss)

In den 1920er Jahren avancierte die Puderdose zu einem wichtigen Schönheits- und Modeaccessoire. Das Pudern des Gesichts (vor allem, um den Teint heller und matter erscheinen zu lassen) war zwar schon lange üblich, doch geschah es meist im Verborgenen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden viele frühere „Schönheitsgeheimnisse“ nüchterner betrachtet, denn die veränderte soziale Rolle der Frauen brachte neue Verhaltensnormen mit sich.
Dekorative Kosmetik wurde zu einem Massenphänomen, das Schminken verlor seinen moralisch negativ besetzten Nimbus. Nicht mehr Natürlichkeit pur war nun das Ideal (wie im bürgerlichen 19. Jahrhundert, als man sich vom „dekadenten“ Adel abgrenzen wollte), sondern gepflegtes und attraktives Aussehen – und es war klar (und wurde öffentlich erörtert), dass dieses mit Hilfe aller möglichen Mittel und Methoden erst „hergestellt“ werden musste.
Die Puderdose wurde nicht nur zum ständigen Begleiter vieler Frauen, sondern geradezu zum Symbol dieses neuen Verständnisses von Schönheitspflege. Um den Massenmarkt zu bedienen, gab es sie nun auch preisgünstig aus hübsch gestaltetem Karton. Die teureren Versionen aus Metall lebten vor allem als Handtaschenmodelle fort. Mit ihrem Innenspiegel waren sie ein wichtiges Kontrollinstrument: Überall und jederzeit konnte so das Aussehen überprüft und bei Bedarf korrigiert werden. Um 1930, mit zunehmender Arbeitslosigkeit und verstärktem Konkurrenzdruck, wurde die Selbstoptimierung zum Gebot der Stunde – das betonten nicht nur Frauenzeitschriften und Schönheitsratgeber, sondern auch die Autoren soziologischer Studien.


Puderdose, 1927
Foto: © Wien Museum


Radiosendung:
Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden. 
Heute ging es in der Sendung um eine Puderdose aus dem Jahr 1927 (Interview mit Susanne Breuss).  

Text:
Susanne Breuss: Inszenierungen des modernen Körpers. Mode, Konsum und Geschlecht um 1930. In: Wolfgang Kos (Hg.): Kampf um die Stadt. Politik, Kunst und Alltag um 1930. Ausstellungskatalog. Wien 2010. S. 168-176.



Werbeanzeige für Coty Doppel Compact Puder und Schminke, 1928
 (Archiv Susanne Breuss)




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