"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Freitag, 7. Dezember 2012

DRUCKSACHE NR. 4: Tarek Leitner über hässliche Dinge und Umweltverschandelung




Fotos © Tarek Leitner (aus dem besprochenen Buch)

 
Wir befinden uns gerade in jener Saison, in der Dekorations- und Umweltgestaltungsbedürfnisse ihren alljährlichen Höhepunkt erleben: Vorweihnachtszeit. Hätte Tarek Leitner, Präsentator der ORF-Nachrichtensendung „Zeit im Bild“, sein vor kurzem erschienenes Buch mit dem Titel „Mut zur Schönheit. Eine Streitschrift gegen die Verschandelung Österreichs“ jetzt geschrieben, so hätte es ihn vermutlich gedrängt, dem materiellen Output der Advents- und Weihnachtszeit ein eigenes Kapitel zu widmen. Die unzähligen Punschstände und Kunsthandwerkshütten, die seit November nahezu jeden städtischen Platz okkupieren, die an Fassaden hochkletternden Weihnachtsmänner, die glitzernden, leuchtenden und blinkenden Dekorationen, die angesichts ihrer unüberblickbaren Zahl den öffentlichen Raum in eine Art weihnachtliches Las Vegas verwandeln – sie hätten gut auf die Liste jener Dinge gepasst, die er als Verschandelung Österreichs anprangert.

Es sind vor allem die (zumeist baulichen) Dinge des öffentlichen Raums, die das Alltagsleben sehr vieler Menschen prägen, mit denen Leitner in seinem Buch ins Gericht geht: Lärmschutzwände, Umfahrungsstraßen, Autobahnknoten, Tankstellen, riesige Reklameflächen und andere Manifestationen der Produktwerbung, Gewerbe- und Geschäftsansiedlungen, Parkplatzwüsten, Skywalks in den Alpen und andere touristisch motivierte Erlebnisarchitektur, Häuselbauerei oder mit Fotos und Mitteilungszetteln voll gepflasterte Stellwände in kunsthistorisch wertvollen Kirchen. Dinge also, die zumindest in ihrer real existierenden Gestalt üblicherweise nicht zur Verschönerung der Umgebung beitragen. Leitner sieht darin eine seit Jahren rapide voranschreitende Zerstörung einer der wichtigsten Ressourcen Österreichs, nämlich der Landschaft. 

Wie im Untertitel des Buches bereits angedeutet wird, handelt es sich bei dieser „Streitschrift“ um eine Sammlung von subjektiven Beobachtungen, die in ihrer Gesamtheit einem Alarmschrei gleichen – viel zu viel Raum werde von all den zugemuteten Scheußlichkeiten bereits gefressen. Intention des Autors ist es denn auch, sich als Bürger und nicht als objektiver Berichterstatter zu Wort zu melden (Hässlichkeit hält er allerdings für objektivierbar). Dem entsprechend schwach ausgeprägt ist der analytische Zugang zum Thema. Wirtschaftlichkeit, Rendite, das Fehlen von Schönheit als politischer Kategorie – das sind Schlagworte, die zwar immer wieder ins Feld geführt werden, doch eine tiefer gehende Analyse von Phänomenen, „Sachzwängen“, Entscheidungsstrukturen sowie von Interessen und Bedürfnissen unterschiedlicher AkteurInnen leistet Leitner, wenn überhaupt, nur in Ansätzen.

Spannend erscheint die Rezeption des Buches und die Frage, ob sich daraus Initiativen, welcher Art auch immer, entwickeln werden. In der historischen Perspektive wäre auch eine vergleichende Analyse von Leitners Streitschrift mit ähnlichen Initiativen in der Vergangenheit von großem Interesse (er selbst nimmt praktisch keine historische Verortung seiner Überlegungen vor): Welche Parallelen gibt es etwa hinsichtlich der von Leitner angeführten Argumente oder der von ihm kritisierten Phänomene zur so genannten „Heimatschutzbewegung“ um 1900?  

Tarek Leitner: Mut zur Schönheit. Streitschrift gegen die Verschandelung Österreichs. Wien 2012 (Christian Brandstätter Verlag, 205 Seiten, € 22,50,-).


Zitate:
„Die meiste Zeit unseres Lebens verbringen wir in einer notwendigen Umgebung […]. Schönheit wird zur Gegenwelt des Alltagslebens. Wir nehmen vorsätzlich (aber nicht ganz bewusst) die Trennung in schöne und nützliche Umgebungen vor. Wir akzeptieren, einen großen Teil unserer Zeit in der notwendigen Umgebung zu sein, bar aller ästhetischen Ansprüche.“ (S. 63f)

„Wir glauben nur noch an die schönen Landschaften in unserem Land – sehen können wir sie nicht mehr. […] Schön sind diese Orte für uns nur noch, weil wir übereingekommen sind, dass es sich um schöne Orte handelt – unabhängig davon, wie sie mittlerweile wirklich aussehen. All diese schönen Orte leben nur noch von der Schönheit, die wir aus Tradition auf sie projizieren. Wir empfinden die Landschaft schön, weil es uns etwa durch die Malerei und (Postkarten-)Photographie so anerzogen worden ist; weil uns die bis vor einiger Zeit dort praktizierte Bebauung als harmonisch gilt – und wir nicht sehen wollen, was die Menschen, die in dieser schönen Umgebung leben, an Scheußlichkeiten alles zulassen.“ (S. 17f)

„Hüten wir uns also vor jenen, die uns ständig das Praktische einreden wollen: Die Schönheit verträgt keine Ingenieure.“ (S. 28)

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