"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Donnerstag, 7. Februar 2013

HÖRSACHE NR. 12: Schaufenster als Ballspende


© Wien Museum



Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden. 

Passend zum Opernball gibt es heute einen Rückblick auf die Sendung vom 17. September 2012, die sich in das Jahr 1902 begab und einer Ballspende in Form eines Geschäftsportals mit Warenauslage gewidmet war (Interview mit Susanne Breuss). 

Die für die teilnehmenden Damen vorgesehenen Ball- oder Damenspenden hatten und haben häufig einen Bezug zu aktuellen gesellschaftlichen und kulturellen Phänomenen. So auch dieses Exemplar von einem kaufmännischen Ball in Wien. In der Zeit um 1900 erlebte das Schaufenster als Medium der Warenwerbung nämlich einen ersten Höhepunkt: Nicht nur sahen der Handel und die Produzenten in der Warenauslage eine wesentliche Verkaufsstrategie, auch Architekten, Künstler und Wissenschaftler widmeten ihr große Aufmerksamkeit (u. a. erhoffte man sich in der künstlerischen Gestaltung von Schaufenstern ein Mittel zur ästhetischen Volksbildung und zur ästhetischen Verbesserung des urbanen Raums). Um die Jahrhundertwende veränderten neue Formen der Konsumkultur massiv das Antlitz der Städte. Vor allem in innerstädtischen Straßenzügen reihte sich nun eine Warenauslage an die andere, und große Warenhäuser zelebrierten mit Hilfe eindrucksvoller Architektur und aufwendiger Inszenierungen die Ware als Fetisch und Kulturgut   

Als Damenspende erschien ein Schaufenster vermutlich deshalb als besonders geeignet, weil damals den Frauen eine immer wichtigere Funktion als Konsumentin zukam und sich die Auslagengestaltung daher verstärkt an den - tatsächlichen oder vermeintlichen - Bedürfnissen bzw. Interessen der weiblichen Kundschaft orientierte.  
Die Rolläden dieser Miniatur-Schaufenster lassen sich übrigens hinaufziehen, darunter ist dann allerdings kein Warenangebot zu sehen, sondern das Musik- und Tanzprogramm des kaufmännischen Balls. Die Tatsache, dass diese Ballspende in der Form des Portals eines kleinen Geschäfts gestaltet ist, verweist auf den spezifischen Wiener Hintergrund: Hier dominierten nämlich die Kleinbetriebe, große Warenhäuser gab es im Unterschied zu Städten wie Berlin, Paris, London oder New York eher wenige und diese hatten auch vergleichsweise bescheidene Dimensionen.          
 

Texte:
Susanne Breuss: Window Shopping. Eine Fotogeschichte des Schaufensters (Ausstellungskatalog Wien Museum). Wien 2010.  
Susanne Breuss: Exponierte Waren. Zur Entwicklung der modernen Schaufensterkultur im 19. und frühen 20. Jahrhundert. In: Forum Ware. Internationale Zeitschrift für Warenlehre 38 (2010) 1-4. S. 51-55.
pdf    
Susanne Breuss: Bühnen der Warenwelt. Seit dem 19. Jahrhundert ist die attraktive Gestaltung von Schaufenstern ein wichtiges Mittel der Kundenwerbung. In: Wiener Zeitung Extra, 28.11.2009. S. 5. 
Daniel Kalt: Prachtvolle Weihnachtsvitrinen. Im Schaufenster zeigen sich Geschäfte von ihrer besten Seite. In: Die Presse, 9.12.2010.
Text auf Die Presse online 

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