Fotos © Tarek Leitner (aus dem besprochenen Buch)
Wir befinden uns gerade in jener Saison, in der Dekorations- und Umweltgestaltungsbedürfnisse ihren alljährlichen
Höhepunkt erleben: Vorweihnachtszeit. Hätte Tarek Leitner, Präsentator der
ORF-Nachrichtensendung „Zeit im Bild“, sein vor kurzem erschienenes Buch mit
dem Titel „Mut zur Schönheit. Eine Streitschrift gegen die Verschandelung
Österreichs“ jetzt geschrieben, so hätte es ihn vermutlich gedrängt, dem materiellen
Output der Advents- und Weihnachtszeit ein eigenes Kapitel zu widmen. Die
unzähligen Punschstände und Kunsthandwerkshütten, die seit November nahezu
jeden städtischen Platz okkupieren, die an Fassaden hochkletternden
Weihnachtsmänner, die glitzernden, leuchtenden und blinkenden Dekorationen, die
angesichts ihrer unüberblickbaren Zahl den öffentlichen Raum in eine Art weihnachtliches
Las Vegas verwandeln – sie hätten gut auf die Liste jener Dinge gepasst, die er
als Verschandelung Österreichs anprangert.
Es sind vor allem die (zumeist baulichen) Dinge des öffentlichen
Raums, die das Alltagsleben sehr vieler Menschen prägen, mit denen Leitner in
seinem Buch ins Gericht geht: Lärmschutzwände, Umfahrungsstraßen, Autobahnknoten,
Tankstellen, riesige Reklameflächen und andere Manifestationen der
Produktwerbung, Gewerbe- und Geschäftsansiedlungen, Parkplatzwüsten, Skywalks
in den Alpen und andere touristisch motivierte Erlebnisarchitektur, Häuselbauerei
oder mit Fotos und Mitteilungszetteln voll gepflasterte Stellwände in
kunsthistorisch wertvollen Kirchen. Dinge also, die zumindest in ihrer real
existierenden Gestalt üblicherweise nicht zur Verschönerung der Umgebung
beitragen. Leitner sieht darin eine seit Jahren rapide voranschreitende
Zerstörung einer der wichtigsten Ressourcen Österreichs, nämlich der
Landschaft.
Wie im Untertitel des Buches bereits angedeutet wird,
handelt es sich bei dieser „Streitschrift“ um eine Sammlung von subjektiven
Beobachtungen, die in ihrer Gesamtheit einem Alarmschrei gleichen – viel zu
viel Raum werde von all den zugemuteten Scheußlichkeiten bereits gefressen. Intention
des Autors ist es denn auch, sich als Bürger und nicht als objektiver
Berichterstatter zu Wort zu melden (Hässlichkeit hält er allerdings für
objektivierbar). Dem entsprechend schwach ausgeprägt ist der analytische Zugang
zum Thema. Wirtschaftlichkeit, Rendite, das Fehlen von Schönheit als
politischer Kategorie – das sind Schlagworte, die zwar immer wieder ins Feld
geführt werden, doch eine tiefer gehende Analyse von Phänomenen, „Sachzwängen“,
Entscheidungsstrukturen sowie von Interessen und Bedürfnissen unterschiedlicher
AkteurInnen leistet Leitner, wenn überhaupt, nur in Ansätzen.
Spannend erscheint die Rezeption des Buches und die Frage,
ob sich daraus Initiativen, welcher Art auch immer, entwickeln werden. In der
historischen Perspektive wäre auch eine vergleichende Analyse von Leitners
Streitschrift mit ähnlichen Initiativen in der Vergangenheit von großem
Interesse (er selbst nimmt praktisch keine historische Verortung seiner
Überlegungen vor): Welche Parallelen gibt es etwa hinsichtlich der von Leitner
angeführten Argumente oder der von ihm kritisierten Phänomene zur so genannten
„Heimatschutzbewegung“ um 1900?
Tarek Leitner: Mut
zur Schönheit. Streitschrift gegen die Verschandelung Österreichs. Wien 2012
(Christian Brandstätter Verlag, 205 Seiten, € 22,50,-).
Zitate:
„Die meiste Zeit unseres Lebens verbringen wir in einer notwendigen Umgebung […]. Schönheit wird zur Gegenwelt des Alltagslebens. Wir nehmen vorsätzlich (aber nicht ganz bewusst) die Trennung in schöne und nützliche Umgebungen vor. Wir akzeptieren, einen großen Teil unserer Zeit in der notwendigen Umgebung zu sein, bar aller ästhetischen Ansprüche.“ (S. 63f)
„Wir glauben nur noch an die schönen Landschaften in unserem Land – sehen können wir sie nicht mehr. […] Schön sind diese Orte für uns nur noch, weil wir übereingekommen sind, dass es sich um schöne Orte handelt – unabhängig davon, wie sie mittlerweile wirklich aussehen. All diese schönen Orte leben nur noch von der Schönheit, die wir aus Tradition auf sie projizieren. Wir empfinden die Landschaft schön, weil es uns etwa durch die Malerei und (Postkarten-)Photographie so anerzogen worden ist; weil uns die bis vor einiger Zeit dort praktizierte Bebauung als harmonisch gilt – und wir nicht sehen wollen, was die Menschen, die in dieser schönen Umgebung leben, an Scheußlichkeiten alles zulassen.“ (S. 17f)
„Hüten wir uns also vor jenen, die uns ständig das Praktische einreden wollen: Die Schönheit verträgt keine Ingenieure.“ (S. 28)