"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Montag, 31. Dezember 2012

FOTOSACHE NR. 4: Bleigießen


© Archiv Susanne Breuss

Drei Frauen in der Küche: ein alltäglicher Anblick. Aber für die meisten eben zu alltäglich, um für das Familienalbum fotografiert und der Nachwelt überliefert zu werden. Es braucht schon einen besonderen Anlass, um eine solche Szene fotowürdig erscheinen zu lassen. Diese in ein dickes Album eingeklebte Fotografie ist mit der Bildunterschrift „Bleigießen – Sylvester 1967“ versehen.
Als Silvester – die weit verbreitete Schreibweise Sylvester ist falsch – wird im westlichen Sprachraum bekanntlich der 31. Dezember bezeichnet. 1582 wurde der letzte Tag des Jahres vom 25. auf den 31. Dezember verlegt, auf den Todestag des Papstes Silvester I. 

Der letzte Tag des Jahres ist kein gewöhnlicher Tag und durch eine Vielzahl von zum Teil traditionsreichen Bräuchen und Ritualen geprägt. Die Übergangssituation vom alten ins neue Jahr provoziert nicht nur Rückblicke, sondern auch Vorschauen. Der Orakelbrauch des Bleigießens ist Ausdruck der Neugierde auf das, was das kommende Jahr wohl bringen mag.
In einem Haushaltsratgeber aus dem Jahr 1965 findet sich eine Anleitung für das Bleigießen an Silvester: 
„Wenn Sie um Mitternacht in bester Stimmung die Sektpfropfen knallen lassen, so ist dies eine ausgesprochen angenehme Art, das neue Jahr einzuschießen. Gleich darauf werden die Bleistückchen in einem Blechlöffel über einer Kerze erwärmt und die flüssige Masse in eine mit kaltem Wasser gefüllte Schüssel gegossen. Um Betriebsunfälle durch herumspritzendes heißes Blei zu vermeiden, bedecken Sie die Wasserschüssel in dem Augenblick, da das Blei hineingegossen wird, mit einem feuchten Handtuch. Das Deuten des Schicksals aus den zerkrümelten oder plattgedrückten Bleiformen lässt der Phantasie freien Lauf. Was der eine als einen Dampfer ansieht, der eine Überseereise verspricht, wird von dem anderen als ein Dackel gedeutet mit dem Hinweis ‚Vorsicht, sonst kommst du auf den Hund’“.

Text:
Die vollständige Fassung dieses Textes erschien als:
Susanne Breuss: Das Deuten des Schicksals aus Bleiformen (= Fotoglosse schwarz & weiß). In: Wiener Zeitung Extra, 30. Dezember 2005, S. 2.


Donnerstag, 27. Dezember 2012

FOTOSACHE NR. 3: Schneeballschlacht


© Archiv Susanne Breuss


„Was für ein bildsames Material ist doch der Schnee! Er ballt sich zu Geschossen, er dient dem künstlerischen Treiben der lustigen Jugend, wird Hügel und Festung, Thor und Haus.“
Szenen wie jene auf dieser Fotografie hatte Michael Haberlandt, einer der Gründer des Österreichischen Museums für Volkskunde wohl vor Augen, als er in einem 1900 erschienenen Aufsatz über Freud und Leid des Schnees nachdachte. 
Gar so jugendlich ist diese Partie zwar nicht mehr, lustig und ausgelassen wirkt sie aber allemal – eine wohl unvermeidliche Begleiterscheinung, wenn man aus dem „bildsamen“ Schnee Geschosse formt und sich gegenseitig damit bewirft, egal in welchem Lebensalter man sich gerade befindet.
Vielleicht spielt auch der Zeitpunkt der Aufnahme – Jänner 1940 – eine Rolle: Da es für die Abgebildeten angesichts des wenige Monate zuvor ausgebrochenen Krieges vermutlich nicht allzu viel Anlass zu Übermut gab, war so eine harmlose Schneeballschlacht mitten in der Stadt sicher eine willkommene Gelegenheit, sich trotz der damals herrschenden eisigen Temperaturen für einen Moment unbeschwert am Leben zu erfreuen.

Text:
Die vollständige Fassung dieses Textes erschien als:
Susanne Breuss: Welch bildsames Material! (= Fotoglosse schwarz & weiß). In: Wiener Zeitung Extra, 22./23. Dezember 2012, S. 43.
 

Donnerstag, 20. Dezember 2012

ANSICHTSSACHE NR. 6: Rock Christmas

Foto: Christa Knott © Österreichisches Museum für Volkskunde


Das Österreichische Museum für Volkskunde zeigt derzeit die Sonderausstellung „Weihnachten – noch Fragen?“ (bis 3. Februar 2013).
Infos hier

Kathrin Pallestrang, eine der drei Kuratorinnen der Ausstellung, hat für diesen Blog ein Exponat ausgewählt, das sehr typisch ist für die Weihnachtskultur der letzten Jahrzehnte: Eine Musik-CD von Polystar aus dem Jahr 2000 mit dem Titel „The Very Best of Rock Christmas“.
Hier schildert sie die Bedeutung und historische Entwicklung von Weihnachtsliedern:

„Wichtig für die Wertschätzung einzelner Weihnachtslieder sind Erinnerungen – meist aus der Kindheit. Bei den jüngeren Generationen sind es häufig die Weihnachtsliedklassiker aus Rock und Pop, die als typisch weihnachtlich empfunden werden. 1984 kamen gleich zwei Weihnachtslieder erstmals in die Charts, die das Weihnachtsgefühl der damaligen Teenager prägten: Band Aid mit ‚Do they know it’s Christmas Time’ und Wham! mit ‚Last Christmas’.
Die ersten Weihnachtslieder, die gesungen wurden, waren allerdings lateinische Hymnen, die das Weihnachtsevangelium zum Inhalt hatten und sich Gottes Herrlichkeit und dem Erlösergedanken widmeten. So wie sich das Weihnachtsfest von einem kirchlichen zu einem familiären und schließlich zu einem säkularen öffentlichen Fest wandelte, so wurden die Weihnachtslieder den Veränderungen angepasst.
Ausgehend von Klöstern entwickelte sich bereits im Mittelalter das „Kindlwiegen“ in den Kirchen mit einem lieblichen Liedtypus, der sich dem Kind in der Krippe widmete. Ab dem 16. Jahrhundert entstanden häufig im Dialekt gesungene Hirtenlieder und Weisen für verschiedene Umzugsbräuche. Im 19. Jahrhundert dominierte die Hausmusik mit Liedern, die vom Feiern und der Festgestaltung handeln. Tonträger, Radio und Fernsehen prägten, ebenso wie englischsprachige Weihnachtslieder das 20. Jahrhundert. In unserer pluralistischen Gesellschaft lässt es sich aus einem vielfältigen Angebot je nach individuellem Bedürfnis wählen.“

Katalog zur Ausstellung:
Nora Witzmann/Dagmar Butterweck/Kathrin Pallestrang: Weihnachten - noch Fragen? (= Kataloge des Österreichischen Museums für Volkskunde, Band 97). Wien 2012 (Österreichisches Museum für Volkskunde, 63 Seiten, 19 Euro).

Link:
Kathrin Pallestrang auf der Website des Österreichischen Museums für Volkskunde

FUNDSACHE NR. 3: Weihnachtliche Lichtobjekte




© Fotos: Stefan Schlögl/derStandard.at

Eine Fotoserie von Stefan Schlögl für derStandard.at, aufgenommen im niederösterreichischen Biedermannsdorf: Weihnachtliche Lichtobjekte im öffentlichen und halböffentlichen Raum - Lichterketten, Sterne, Schneemänner, Rentiere mit und ohne Schlitten, Weihnachtsmänner und Weihnachtsbäume, aber offensichtlich kein einziges Christkind.
8 Millionen Euro investieren in Österreich Kommunen und Private jährlich in den weihnachtlichen Lichterschmuck.


Dienstag, 18. Dezember 2012

HÖRSACHE NR. 7: Volksempfänger



Volksempfänger
© Technisches Museum Wien


Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden. 
Am 17. Dezember 2012 begab sich die Sendung in das Jahr 1938 und beschäftigte sich mit einem medien- und zeithistorisch berühmt gewordenen dunkelbraunen Bakelitkasten: Dem von den Nationalsozialisten ab 1933 massenhaft produzierten „Volksempfänger“, der 1938 in einem nochmals um die Hälfte billigeren Nachfolgemodell, dem „Deutschen Kleinempfänger“, auf den Markt kam und von dem nach dem „Anschluss“ allein in Wien 20.000 Stück verteilt wurden (Interview mit Wolfgang Pensold). 

Links:

Sonntag, 16. Dezember 2012

FOTOSACHE NR. 2: Schmeckender Wurm-Hof


© Archiv Susanne Breuss

Ein schmaler, von Geschäftsportalen und Auslagen gesäumter Durchgang, in den gleißendes Sonnenlicht fällt, ohne ihn vollständig dem Schatten zu entreißen: Schauplatz dieser Aufnahme aus der Zeit um 1960 ist die Wiener Innenstadt. Es handelt sich um den so genannten Schmeckenden Wurm-Hof, ein Durchhaus zwischen Lugeck und Wollzeile.
Der rätselhafte Name geht auf eine alte Sage zurück, nach der einst im Keller des ursprünglich hier stehenden Gebäudes ein lindwurmartiges Ungeheuer entdeckt worden sein soll, das einen bestialischen Gestank verströmte. Von da an wurde das Haus Schmeckender Wurm-Hof genannt – dem damaligen Sprachgebrauch entsprechend war mit „Schmecken“ Riechen, in diesem Fall also Stinken gemeint.

Text:
Die vollständige Fassung dieses Textes erschien als:
Susanne Breuss: Wo der Lindwurm hauste (= Fotoglosse schwarz & weiß). In: Wiener Zeitung Extra, 15./16. Dezember 2012, S. 43.

Link:

FORSCHUNGSSACHE NR. 2: Abfall


Im September 2012 fand in Mainz (D) der 49. Deutsche Historikertag statt, darunter auch eine Sektion zum Thema "Zwischen Knappheit und Überfluss: Abfall als Problem und Ressource in der Geschichte". In den Vorträgen wurden auch alltagshistorische Perspektiven berücksichtigt.


Aus dem Tagungsbericht von Julia Schnaus:
"Abfall entsteht in jeder Gesellschaft durch Produktion und Konsumtion, im Laufe der Zeit hat sich der Umgang damit jedoch stark gewandelt. Ob der Abfall eher als nutzbare Ressource oder unerwünschtes Material angesehen wird, hängt mit der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Situation eines Landes zusammen. Aus diesen Aspekten folgt, dass eine multidimensionale Betrachtung des Themas „Abfall“ sinnvoll ist, um verschiedene Facetten des Begriffes beleuchten zu können."

FORSCHUNGSSACHE NR. 1: Geldautomaten und andere Materialisierungen des Ökonomischen


Im September 2012  fand am Institut für Volkskunde/Kulturanthropologie an der Universität Hamburg (D) eine von Sonja Windmüller und Inga Klein organisierte Tagung zum Thema "Kultur der Ökonomie. Materialisierungen und Performanzen des Wirtschaftlichen in kulturwissenschaftlicher Perspektive" statt.
"Die Tagung nahm die Schnittstelle von Kultur und Wirtschaft interdisziplinär in den Blick und versammelte unterschiedliche Ansätze ökonomischer Forschungsrichtungen. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie das weithin unangetastete Primat der Ökonomie in anderen gesellschaftlichen Bereichen wie Politik, Öffentlichkeit und im kulturellen Alltag verhandelt wird. Die Referierenden beleuchteten dabei die Kultur- und Ideengeschichten ökonomischer Konzepte, die mediale Kommunikation des Ökonomischen sowie gescheiterte Theorien als kultur- und epochenspezifische Aussagen über Topoi, Themen und Figuren in Wirtschaftsdiskursen. Dabei galt die Historizität (aktueller) ökonomischer Diskurse als zentrale epistemische Kategorie." 
Tagungsbericht von Silke Meyer und Barbara Lemberger

Neben Vorträgen über Geld, Sprachbilder, Verschuldung und anderes mehr gab es u. a. eine Posterpräsentation zum Thema "Bares auf Knopfdruck. Kulturanalytische Perspektiven auf den Geldautomaten".  
 

Samstag, 15. Dezember 2012

DRUCKSACHE NR. 7: Mario Wimmer - Archivkörper



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Mario Wimmer: Archivkörper. Eine Geschichte historischer Einbildungskraft. Konstanz 2012 (Konstanz University Press, 335 Seiten, 34,90,- Euro)

In dem Band geht es um die Materialität des Archivs und um die Objektverhältnisse der Geschichtswissenschaft. Als Aufhänger dient ein historischer Kriminalfall rund um einen sammelwütigen Privatgelehrten mit nekrophilen Leidenschaften und Handschriftenfetischismus, zu dessen Diebstahls-Opfern u. a. das Österreichische Staatsarchiv zählte.  
Projektinfos hier 

Rezension von Achim Landwehr 
 

DRUCKSACHE NR. 6: Die materiellen Seiten der Stadt


Dorothee Brantz/Sasha Disko/Georg Wagner-Kyora (Hg.): Thick Space. Approaches to Metropolitanism (= Urban Studies). Bielefeld 2012 (Transcript Verlag, 383 S., 32,80,- Euro)

Der Band enthält unter anderem ein Kapitel zu den materiellen Aspekten der Stadt, in welchem es vorrangig um technische Infrastrukturen geht.
Rezension des Bandes (inkl. Inhaltsverzeichnis) von Walter Siebel hier


Mittwoch, 12. Dezember 2012

DRUCKSACHE NR. 5: Ursula Böhmer fotografiert Kühe



© Ursula Böhmer/ Kehrer Verlag



Kühe sind heute in den Industrieländern aus dem Blickfeld der meisten Menschen weitgehend verschwunden, doch die Dinge, die aus ihnen hergestellt werden, prägen unseren Alltag nach wie vor in einem sehr hohen Ausmaß und werden Tag für Tag in riesigen Mengen konsumiert.  
Ein sehr verdienstvoller Beitrag zur Sichtbarmachung dieser Tiere ist die Arbeit der deutschen Fotografin Ursula Böhmer: Sie hat mehr als ein Jahrzehnt lang europäische Kühe porträtiert und präsentiert nun eine Auswahl in einem wunderbaren Bildband. 

Ursula Böhmer: All Ladies. Kühe in Europa / Cows in Europe. Texte von Gabriele Conrath-Scholl und Hans-Hinrich Sambraus. Heidelberg 2012 (Kehrer Verlag, 39,90,- Euro).

Infos hier
Fotostrecke auf Zeit Online

Montag, 10. Dezember 2012

TERMINSACHE NR. 6: Buchpräsentation - "Wie kommen die Dinge in den Text?"


© Österreichisches Museum für Volkskunde



Dieser etwas ratlos dreinblickende Herr ist ein irdener Weinkrug aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und stammt aus Südtirol. Seinen Hauptwohnsitz hat er mittlerweile im Gartenpalais Schönborn in der Wiener Laudongasse, genauer gesagt im Österreichischen Museum für Volkskunde.
Zu sehen ist er dort derzeit in der Ausstellung "Mikrofotografisches Bibelstechen. Eine Ausstellung als Einblick und Kommentar". 

Am Dienstag, den 11. Dezember 2012, um 19 Uhr findet ebendort die Präsentation der Begleitpublikation (hochroth Verlag) zur Ausstellung statt.  
Infos hier

Aus dem Ankündigungstext:
"Helmut Neundlinger, Autor und Journalist, wird im Gespräch mit Herbert Justnik und Matthias Klos die Texte, die im Rahmen der Ausstellung „Mikrofotografisches Bibelstechen" geschrieben wurden, vorstellen. Dabei wird es um die unterschiedlichen Assoziationsstrukturen in den Texten und die Figuren der Objektverarbeitung gehen. Daran angeknüpft werden Fragen nach möglichen Verwendungsprogrammen von Objekten, verschiedenen Arten des Umgangs und der Verlebendigung von Dingen. Dinge werden hier nicht funktional sondern als Prozesse aufgefasst."

TERMINSACHE NR. 5: "Architektur - Gedächtnis" (Simon Wiesenthal Lecture - Alexandra Klei)


Vortrag:
Alexandra Klei: Architektur - Gedächtnis. Die Bedeutung des historischen Ortes für die Gestaltung von Erinnerung in KZ-Gedenkstätten (Simon Wiesenthal Lecture)
Donnerstag, 13. Dezember 2012, 18.30 Uhr 
Dachfoyer des Haus-, Hof- und Staatsarchivs
1010 Wien, Minoritenplatz 1

Aus dem Ankündigungstext: 
"Seit Mitte der 1990er-Jahre wurden die KZ-Gedenkstätten umfassend neu gestaltet. Neben der Überarbeitung von Ausstellungsinhalten bedeutete dies vor allem die umfassende Bezugnahme auf die bauliche Struktur des Konzentrationslagers in der Präsentation. Der konkrete Ort und seine Architektur bilden die Grundlage, von den Ereignissen im Gelände selbst zu erzählen: Neben Sanierung und umfangreicher Nutzung erhaltener Bausubstanz bedeutet dies die gestalterische Nachzeichnung der Grundflächen nicht mehr vorhandener Bauten, die Freilegung erhaltener Mauerreste, die Verknüpfung von Standorten mit schriftlichen Informationen und historischen (Gebäude-)Fotografien. Die Bedeutung der ehemaligen Lager als Gedenkorte wurde um die Funktion des Lernortes erweitert. Das Gedächtnis des Ortes sind nicht nur die Diskussionen und Entwicklungen, die zur Einrichtung eines Gedenkortes geführt haben, sondern auch durch Gestaltungsmittel eingelagerte Informationen. In der Auseinandersetzung mit den Inhalten werden die Schwerpunkte aktueller Strategien der Erinnerung ebenso sichtbar wie die Diskrepanz, die zwischen dem historischen Geschehen und seiner Präsentation bestehen."

Sonntag, 9. Dezember 2012

FUNDSACHE NR. 2: Mister Robott, der künstliche Mensch, besucht Wien


Mister Robott, 1929


Im Sommer 1929 kündigten die Zeitungen für die nächste Saison einen sensationellen Besuch an: „Mister Robott“, der künstliche Mensch, reiste durch Europa und versprach, bald auch in Wien seine Aufwartung zu machen.
Mister Robott war die Erfindung eines englischen Ingenieurs, und er konnte nicht nur stehen, gehen und Handreichungen ausführen, sondern sogar sprechen (und zwar in verschiedenen Sprachen, je nachdem, welche Walze ihm einverleibt wurde). 
Er bestand, wie die Medien fasziniert berichteten, aus „toten Maschinenteilen“, aus gewöhnlichen Schrauben, Platten, Ringen, Ketten, Spulen und anderem „leblosen Material“. Dennoch besaß der „Repräsentant des modernen Zeitalters der Technik“ auch eine „Seele“, wie er treuherzig betonte. Dabei handelte es sich um einen „komplizierten Apparat“, der auf Schallwellen von bestimmter Stärke reagierte und der ihn jene Bewegungen ausführen ließ, die das staunende Publikum bewunderte.  

TERMINSACHE NR. 4: Ausstellungseröffnung - "Roboter. Maschine und Mensch?"







1929 sorgte ein einzelner Mister Robott in Wien für Aufsehen, viele Jahrzehnte später wird eine ganze Heerschar an Robotern erwartet: Am 13. Dezember 2012 eröffnet im Technischen Museum Wien eine Ausstellung zum Thema „Roboter. Maschine und Mensch?“ Sie geht auf mehr als 1.000 m² Ausstellungsfläche nicht nur der Geschichte und den technischen Grundlagen der Roboter nach, sondern fragt auch nach ihren Bedeutungen und Einsatzorten im Alltagsleben und in der Forschung der Gegenwart.

JOBSACHE Nr. 1: Textilien, Konsum und materielle Kultur


2 Wiss. Mitarb. Projekt "Textilien und materielle Kultur im Wandel: 
Konsum, kulturelle Innovation und globale Interaktion" (Univ. Bern, CH)

Infos hier

TERMINSACHE NR. 3: Tagung "Traveling Fashion"


Im Wella-Museum in Darmstadt (D) findet von 23. bis 24. Jänner 2013 eine internationale Tagung zum Thema "Traveling Fashion. Styles, Diversity, Globalization" statt.

Aus dem Ankündigungstext:
"Globalisierung der Mode wird oft als ein vereinheitlichender Vorgang verstanden – als gingen die gegenwärtigen Modeströmungen erdumspannend in die gleichen Richtungen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die angeblich weltweiten Trends zahlreichen Brechungen unterliegen: Die scheinbar identischen Modezeichen, -objekte und Frisuren lösen sich in eine Vielzahl unterschiedlicher, vom jeweiligen kulturhistorischen Kontext abhängiger Phänomene auf.
Der Begriff Traveling Fashion schließt an James Cliffords Ansatz der „Traveling Cultures“ an und stellt Mode in den Kontext von Mobilität und Prozesshaftigkeit kultureller Praktiken. Fixierungen von Kultur, etwa mit ethnischen Zuschreibungen, geraten in Bewegung und verschwimmen. Das Thema der Tagung sind die Ent- und Neukontextualisierungen, die aus der transkulturellen Zirkulation von Moden entstehen.
Ausdrücklich werden nicht kostümgeschichtliche Entwicklungen aufgezeigt, sondern der Modebegriff selbst soll hinterfragt werden. In Europa konzentriert sich alles in dieser global agierenden Branche auf das Spektakel rund um die Haute Couture, sei es durch Abgrenzung oder Affirmation. Nicht selten werden für diese Inszenierungen konventionelle Ethnisierungen und geschlechtsspezifische Stereotypisierungen aufgerufen. Wird Mode hingegen als ein Konzept betrachtet, das Körper, Kleidung und Raum zusammendenkt, rücken politische und wirtschaftliche Dimensionen wie etwa Kolonisierungs- und Globalisierungsprozesse in den Blick. Unterschiedliche transkulturelle Austauschprozesse und Entwicklungen lassen sich so differenzierter beschreiben.
Damit eröffnen sich neue Perspektiven nicht zuletzt auf Modeformen jenseits der Haute Couture. Eine große Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Sichtbarkeit durch Social Media, Printmedien und Fashion-Blogs. Nicht zuletzt die Regulierung von Aufmerksamkeitskanälen stellt einen zentralen Machtmechanismus dar."

Infos + Programm hier

Freitag, 7. Dezember 2012

DRUCKSACHE NR. 4: Tarek Leitner über hässliche Dinge und Umweltverschandelung




Fotos © Tarek Leitner (aus dem besprochenen Buch)

 
Wir befinden uns gerade in jener Saison, in der Dekorations- und Umweltgestaltungsbedürfnisse ihren alljährlichen Höhepunkt erleben: Vorweihnachtszeit. Hätte Tarek Leitner, Präsentator der ORF-Nachrichtensendung „Zeit im Bild“, sein vor kurzem erschienenes Buch mit dem Titel „Mut zur Schönheit. Eine Streitschrift gegen die Verschandelung Österreichs“ jetzt geschrieben, so hätte es ihn vermutlich gedrängt, dem materiellen Output der Advents- und Weihnachtszeit ein eigenes Kapitel zu widmen. Die unzähligen Punschstände und Kunsthandwerkshütten, die seit November nahezu jeden städtischen Platz okkupieren, die an Fassaden hochkletternden Weihnachtsmänner, die glitzernden, leuchtenden und blinkenden Dekorationen, die angesichts ihrer unüberblickbaren Zahl den öffentlichen Raum in eine Art weihnachtliches Las Vegas verwandeln – sie hätten gut auf die Liste jener Dinge gepasst, die er als Verschandelung Österreichs anprangert.

Es sind vor allem die (zumeist baulichen) Dinge des öffentlichen Raums, die das Alltagsleben sehr vieler Menschen prägen, mit denen Leitner in seinem Buch ins Gericht geht: Lärmschutzwände, Umfahrungsstraßen, Autobahnknoten, Tankstellen, riesige Reklameflächen und andere Manifestationen der Produktwerbung, Gewerbe- und Geschäftsansiedlungen, Parkplatzwüsten, Skywalks in den Alpen und andere touristisch motivierte Erlebnisarchitektur, Häuselbauerei oder mit Fotos und Mitteilungszetteln voll gepflasterte Stellwände in kunsthistorisch wertvollen Kirchen. Dinge also, die zumindest in ihrer real existierenden Gestalt üblicherweise nicht zur Verschönerung der Umgebung beitragen. Leitner sieht darin eine seit Jahren rapide voranschreitende Zerstörung einer der wichtigsten Ressourcen Österreichs, nämlich der Landschaft. 

Wie im Untertitel des Buches bereits angedeutet wird, handelt es sich bei dieser „Streitschrift“ um eine Sammlung von subjektiven Beobachtungen, die in ihrer Gesamtheit einem Alarmschrei gleichen – viel zu viel Raum werde von all den zugemuteten Scheußlichkeiten bereits gefressen. Intention des Autors ist es denn auch, sich als Bürger und nicht als objektiver Berichterstatter zu Wort zu melden (Hässlichkeit hält er allerdings für objektivierbar). Dem entsprechend schwach ausgeprägt ist der analytische Zugang zum Thema. Wirtschaftlichkeit, Rendite, das Fehlen von Schönheit als politischer Kategorie – das sind Schlagworte, die zwar immer wieder ins Feld geführt werden, doch eine tiefer gehende Analyse von Phänomenen, „Sachzwängen“, Entscheidungsstrukturen sowie von Interessen und Bedürfnissen unterschiedlicher AkteurInnen leistet Leitner, wenn überhaupt, nur in Ansätzen.

Spannend erscheint die Rezeption des Buches und die Frage, ob sich daraus Initiativen, welcher Art auch immer, entwickeln werden. In der historischen Perspektive wäre auch eine vergleichende Analyse von Leitners Streitschrift mit ähnlichen Initiativen in der Vergangenheit von großem Interesse (er selbst nimmt praktisch keine historische Verortung seiner Überlegungen vor): Welche Parallelen gibt es etwa hinsichtlich der von Leitner angeführten Argumente oder der von ihm kritisierten Phänomene zur so genannten „Heimatschutzbewegung“ um 1900?  

Tarek Leitner: Mut zur Schönheit. Streitschrift gegen die Verschandelung Österreichs. Wien 2012 (Christian Brandstätter Verlag, 205 Seiten, € 22,50,-).


Zitate:
„Die meiste Zeit unseres Lebens verbringen wir in einer notwendigen Umgebung […]. Schönheit wird zur Gegenwelt des Alltagslebens. Wir nehmen vorsätzlich (aber nicht ganz bewusst) die Trennung in schöne und nützliche Umgebungen vor. Wir akzeptieren, einen großen Teil unserer Zeit in der notwendigen Umgebung zu sein, bar aller ästhetischen Ansprüche.“ (S. 63f)

„Wir glauben nur noch an die schönen Landschaften in unserem Land – sehen können wir sie nicht mehr. […] Schön sind diese Orte für uns nur noch, weil wir übereingekommen sind, dass es sich um schöne Orte handelt – unabhängig davon, wie sie mittlerweile wirklich aussehen. All diese schönen Orte leben nur noch von der Schönheit, die wir aus Tradition auf sie projizieren. Wir empfinden die Landschaft schön, weil es uns etwa durch die Malerei und (Postkarten-)Photographie so anerzogen worden ist; weil uns die bis vor einiger Zeit dort praktizierte Bebauung als harmonisch gilt – und wir nicht sehen wollen, was die Menschen, die in dieser schönen Umgebung leben, an Scheußlichkeiten alles zulassen.“ (S. 17f)

„Hüten wir uns also vor jenen, die uns ständig das Praktische einreden wollen: Die Schönheit verträgt keine Ingenieure.“ (S. 28)

Donnerstag, 6. Dezember 2012

ANSICHTSSACHE NR. 5: Habergeiß


Foto: Christa Knott © Österreichisches Museum für Volkskunde


Diese Habergeißmaske war um 1900 Teil eines Nikolausspiels aus dem Südtiroler Pustertal. Sie stammt aus den Sammlungen des Österreichischen Museums für Volkskunde – zu sehen ist sie dort derzeit in der Sonderausstellung:
„Weihnachten – Noch Fragen?“ (bis 3. Februar 2013)

Als Dämonen- und Schreckgestalt trat die Habergeiß unter anderem bei (vor)weihnachtlichen Brauchspielen auf und wurde auch als Begleitung von Nikolaus und Krampus dargestellt.
Eine weitere Habergeiß aus den Sammlungen des Österreichischen Museums für Volkskunde ist diese hier aus dem Semmeringgebiet, ebenfalls aus der Zeit um 1900
(Infos hier):


Habergeiß / (c) Christa Knott
Foto: Christa Knott © Österreichisches Museum für Volkskunde

SCHREIBSACHE NR. 1: Weihnachtsobjekte (CFA)


Wer sich wissenschaftlich mit Weihnachten beschäftigen möchte, hat derzeit ausreichende Gelegenheiten zur Feldforschung.
Eine Möglichkeit, die Erkenntnisse zu publizieren, gibt es hier:

CFA: Weihnachtswissenschaften / X-mas-Science

Das Freiburger Institut für Theoriekultur gibt im Herbst 2013 einen neuen Band der Schriftenreihe zur Unterhaltungswissenschaft heraus – Thema: Weihnachten. Gewünscht sind Beiträge, die sich populärkulturellen Weihnachtsphänomenen und weihnachtlichen Objekten widmen. 

Infos hier

Mittwoch, 5. Dezember 2012

ANSICHTSSACHE NR. 4: Höllengesandter


Foto: Christa Knott © Österreichisches Museum für Volkskunde



Der Höllengesandte ist eine Maske aus einem Nikolausspiel des späten 19. Jahrhunderts, er besteht aus geschnitztem Holz und stammt aus Krimml (Salzburg). 
Er treibt sein Unwesen in den Sammlungen des Österreichischen Museums für Volkskunde – zu sehen ist er dort derzeit in der Sonderausstellung:
„Weihnachten – Noch Fragen?“ (bis 3. Februar 2013)

"Zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert kamen Nikolaus und Krampus am Vorabend des Heiligenfestes in die Häuser. Der Gabenbringer Nikolaus entlieh als Bischof seine Kleidung dem kirchlichen Fundus. Der Krampus, der den Kindern mit der Rute drohte, trug ein Kostüm aus Fell oder Stoff und eine Maske mit Hörnern. Als 'gefallener Engel' hatte er oft Flügel und jedenfalls eine Kette als abschreckendes Exempel der ewigen Verdammnis der in der Hölle angeketteten Unbußfertigen. Das ungleiche Paar trat aber nicht nur beim Einkehrbrauch auf, es gab auch kirchlich forcierte Nikolausspiele, in denen die teuflischen Heerscharen auftreten. Zahlreiche biblische und liturgische Anspielungen darin lassen auf eine Entstehung in katholischen Kreisen schließen. Beim Mitterndorfer Nikolausspiel war wohl das Benediktinerkloster Admont in der Steiermark federführend. Eine Szene, die Bettlerbeichte, weist auf die schädlichen Wirkungen des Alkohols hin. Im Evangelium des Nikolaustages heißt es: 'Nehmt euch in acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euch nicht verwirren ...' (Lk. 21,34)."
Helga Maria Wolf: Weihnachten. Kultur & Geschichte. Wien/Köln/Weimar 2005.
(siehe auch hier)

Montag, 3. Dezember 2012

HÖRSACHE NR. 6: „Ultramodern“ und gegen „weichliche Stimmungen“ – Möbel aus Stahlrohr


Stahlrohrmöbel der Fa. Thonet
Abb. aus einem Wohnratgeber, 1931 (Archiv Susanne Breuss)



Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden.
Heute begab sich die Sendung in das Jahr 1932 und ging der Frage nach, welche Bedeutung damals den als „ultramodern“ eingestuften Stahlrohrmöbeln zukam (Interview mit Susanne Breuss, „Gast“: ein aus der Grinzinger Badeanstalt stammender Freischwinger-Stahlrohrsessel aus den Sammlungen des Wien Museums).



Stahlrohrsessel, um 1930
Foto: © Wien Museum

Der Sommer 1932 bot sehr gutes Badewetter, und wie die anderen Wiener Freibäder war auch das Grinzinger Bad äußerst gut besucht. Platz nehmen konnte man dort auf sehr modern anmutenden Sesseln, nämlich auf blau lackierten Stahlrohrsesseln mit Sitzflächen und Rückenlehnen aus schlichten Holzsprossen. Das Besondere an ihnen war, dass sie lediglich zwei Beine besaßen, die am Boden in nach hinten ausragende und dort miteinander verbundene Kufen übergingen.

Einen Massenandrang erlebte im Sommer 1932 auch ein anderer Ort, an dem man solche „Freischwinger“ und andere Möbel aus Stahlrohr bestaunen konnte: Am westlichen Stadtrand Wiens wurde mit der Werkbundsiedlung die damals größte Bauausstellung Europas eröffnet. Entstanden war sie als soziale und ästhetische Utopie von einem besseren Leben aus dem Geist der Moderne. Die 70 vollständig eingerichteten Häuser sollten als Modelle für den Bau großer Siedlungen im Grünen dienen und waren damit auch eine Antwort auf das Wohnbauprogramm des Roten Wien, das vor allem auf große Wohnblocks mit begrünten Innenhöfen setzte.

Unter der Gesamtleitung des Architekten Josef Frank, der für eine undogmatische Moderne stand, reagierte die Wiener Werkbundsiedlung auf die internationale Überbetonung von Maschinenästhetik und Funktionalismus im Wohnen, indem sie Individualität und Flexibilität in den Mittelpunkt rückte.
Diesem Programm gemäß dominierten in der Wiener Werkbundsiedlung – anders als etwa 1927 auf der Werkbund-Ausstellung „Die Wohnung“ in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart, wo Stahlrohrmöbel erstmals einem breiten Publikum vorgestellt worden waren – zwar Holzmöbel. Dennoch waren einige der Häuser auch mit Stahlrohrmöbeln eingerichtet, so etwa jenes von Anton Brenner, einem Spezialisten für funktionelle Wohnungen auf kleinstem Raum. Stahlrohrmöbel galten für kleine Räume als ganz besonders geeignet, da sie wegen ihrer Leichtigkeit und vergleichsweise transparenten Wirkung die Räume größer erscheinen ließen.

Während die seit Mitte der 1920er Jahre entwickelten Stahlrohrmöbel für den Wohnbedarf seitens der funktionalistischen Architektur- und Designavantgarde als die modernen Möbel schlechthin galten und schnell zu Ikonen einer neuen, sachlichten Wohnkultur avancierten, entsprachen sie keineswegs dem Massengeschmack. Die Durchschnittsbevölkerung empfand sie oft als zu kalt, streng, unwohnlich und ungemütlich, kritisiert wurde gar deren „geistesarme Nüchternheit“ oder deren an „Operationssäle“ und „Skelette“ erinnernde Ästhetik.

Geschätzt wurden sie allerdings weithin für ihre praktischen Eigenschaften, denn sie waren hygienisch, leicht zu reinigen, stabil, unempfindlich und aufgrund ihres geringen Gewichts flexibel zu handhaben – alles Eigenschaften, die sie auch für den Gebrauch in Wartesälen, Arztpraxen, Büros, öffentlichen Gebäuden, Gärten oder Schwimmbädern prädestinierten. Dies waren auch jene Orte, an denen damals die meisten Menschen mit diesen gegen „weichliche Stimmungen“ antretenden Möbeln in Berührung kamen. In den eigenen vier Wänden fanden sie sich nur bei einer den neu-sachlichen Wohnkonzepten gegenüber aufgeschlossenen Minderheit.



Radiosendung:
http://oe1.orf.at/artikel/324371
http://oe1.orf.at/konsole?show=ondemand (abrufbar 7 Tage)
http://oe1.orf.at/artikel/321703.


Text:
Susanne Breuss: Neue Möbel für neue Menschen. Zur Konsum-, Alltags- und Symbolgeschichte der Stahlrohrmöbel in der Zwischenkriegszeit. In: Forum Ware. Internationale Zeitschrift für Warenlehre, H. 1-4/2008, S. 24-28.

Ausstellung:
Verschiedene Stahlrohrmöbel sind derzeit in einer Ausstellung des Wien Museums Karlsplatz zu sehen:
Werkbundsiedlung Wien 1932 – Ein Manifest des Neuen Wohnens (bis 13. Jänner 2013)

Sonntag, 2. Dezember 2012

FUNDSACHE NR. 1: Karussell




Karussell auf einem niederösterreichischen Spielplatz, 2012 (© Susanne Breuss)



Karusselle existieren in zahlreichen Typen und Varianten seit Jahrhunderten: als von Pferden, Menschenkraft oder Motoren angetriebene Fahrgeschäfte auf Jahrmärkten, Volksfesten und in Vergnügungsparks ebenso wie als muskelbetriebene Spielplatzgeräte.

Montag, 26. November 2012

HÖRSACHE NR. 5: "Arme-Leute-Butter" – Margarinekonsum und Wirtschaftskrise


Werbeanzeige, 1931 (Archiv Susanne Breuss)


Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden.
Heute ging es in der Sendung um ein Email-Werbeschild für Thea-Margarine aus dem Jahr 1930 und um die Bedeutung des Margarinekonsums zur Zeit der Weltwirtschaftskrise nach 1929 (Interview mit Susanne Breuss).


Werbeschild für Thea, um 1930
Foto: © Wien Museum


Margarine zählte im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zu jenen Markenprodukten, die massiv beworben wurden – im Stadtbild machten vor allem farbenfrohe Emailschilder auf dieses als preisgünstiges Butter-Surrogat bereits im 19. Jahrhundert entwickelte Nahrungsmittel aufmerksam. Mit der Industrialisierung war es insbesondere in den städtischen Ballungsräumen zu einer "Fettlücke" gekommen und durch das Auseinanderfallen von Arbeits- und Wohnort fand nun das belegte oder beschmierte Brot als von zuhause mitgenommene Jause weite Verbreitung.

Anfänglich stellten Seifen- und Kerzenproduzenten Margarine her, denn für alle diese Produkte diente Fett als wichtiger Rohstoff. In Österreich waren dies etwa die Liesinger Firma Sarg oder die Penzinger Firma Apollo mit der "Wiener Sparbutter" bzw. der "Prima Wirtschaftsbutter".
"Thea" wurde 1923 von den Kunerolwerken in Wien-Liesing mit großem Werbeaufwand als erste österreichische Margarinemarke eingeführt. Der Name wurde im Rahmen eines Preisausschreibens ermittelt – eine sehr geschickte Strategie, da so das neue Produkt schon bekannt war, noch bevor man es kaufen konnte.

In Österreich vermochte sich industriell hergestelltes Streich- und Kochfett zunächst nicht so gut durchzusetzen wie etwa in den nördlichen Regionen Deutschlands (weshalb nach 1938 die Deutschen als "Margarinefresser" galten und das Fett selbst als "Hitlerbutter" bezeichnet wurde). Doch angesichts der Wirtschaftskrise stieg in den Jahren nach 1929 auch hierzulande der Margarineverbrauch deutlich an.

Die berühmte, im Jahr 1933 publizierte sozialwissenschaftliche Studie von Marie Jahoda, Paul Felix Lazarsfeld und Hans Zeisel "Die Arbeitslosen von Marienthal. Eine soziographische Studie über die Folgen langandauernder Arbeitslosigkeit" beschäftigte sich auch mit den durch die Arbeitslosigkeit bedingten Veränderungen im Nahrungsmittelkonsum. So ergab eine Analyse von Essenslisten unter anderem Veränderungen beim Margarineverzehr: Durch die finanziellen Einschränkungen wurde nicht nur mehr Margarine konsumiert (auch von solchen Personenkreisen, die sie zuvor gemieden hatten), bevorzugt wurden nun auch preiswertere Sorten und kleinere Verpackungseinheiten. Slogans wie jener auf dem Thea-Emailschild von 1930 ("Schmeckt wie feinste Teebutter") sollten wenigstens die Illusion des Echten vermitteln. 


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