"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Dienstag, 15. Januar 2013

SACHVERHALT NR. 2: Gelb als Narrenfarbe und Ausgrenzungsmerkmal



Ausschnitt aus dem Siebenhirter Tafelbild
(um 1500): Der Narr ist in die traditionelle 
Narrenfarbe Gelb gekleidet. 
© Kärntner Landesmuseum


Im Fasching haben die Narren auch heute noch Hochsaison. Vor allem bei traditionellen Narrenkostümen wird einem dabei immer wieder die Farbe Gelb unterkommen – sie zählt seit Jahrhunderten zu den gebräuchlichsten „Narrenfarben“.

Die Verwendung von Gelb im Zusammenhang mit der vestimentären Kennzeichnung und Ausgrenzung „missliebiger“ oder von der Norm abweichender Bevölkerungsgruppen hat eine lange Tradition aufzuweisen. Die „Judensterne“ der Nationalsozialisten (siehe dazu das Objekt dieser Woche in der Radioserie "Zum Greifen nah") standen am Ende einer Reihe von einschlägigen Vorschriften: Im Mittelalter mussten Juden gelbe Hüte, gelbe Kreise oder Ringe aus Stoff an ihrer Kleidung tragen.

Doch auch andere Bevölkerungsgruppen waren immer wieder von derartigen Zwangsmaßnahmen betroffen. So schrieb eine Wiener Kleiderordnung des 15. Jahrhunderts unter der Überschrift „Ordnung der Dirnen“ vor: „Von der gemeinen Weiber wegen ist abgeredet worden, dass jede ein offenbares Zeichen von einem gelben Tüchlein an der Achsel tragen soll, einer Handbreit, und einer Spann lang.“ Auch als Narren, Hexen oder Ketzer klassifizierte Personen hatten nach den Vorschriften von mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Kleiderordnungen häufig gelbe Kleidungsstücke oder gelbe Kennzeichen zu tragen, ebenso Bettler, Scharfrichtersgattinnen oder Schuldner. Teilweise wurden für solche Zwecke auch andere Farben verwendet, doch nur Gelb besaß eine durchgängig negative Zuschreibung. Erst ab dem 16. Jahrhundert begann sich der Charakter von Gelb als „Schandfarbe“ allmählich aufzulösen – wobei entsprechende Kennzeichnungspflichten für Juden vielerorts noch länger bestanden.

Gelb war im okzidentalen Kulturkreis lange Zeit jene Farbe, mit der man vorwiegend Negatives assoziierte: Neid, Geiz, Verlogenheit, Eifersucht, Untreue, Schuld, Egoismus und Giftigkeit. Ausschlaggebend für ihren Einsatz als diskriminierendes Abzeichen war aber auch ihre Signalwirkung. Jacob und Wilhelm Grimm betonten im „Deutschen Wörterbuch“, dass es sich um die auffallendste und lauteste Farbe handle, die gleichsam die Blicke herbeirufe.


Text: 
Susanne Breuss: "Die Farbe ist die Seele jeder Toilette". Symbolik, Ästhetik und modischer Wandel der Kleiderfarben. In: Amt der Vorarlberger Landesregierung (Hrsg.): Kleider und Leute. Katalog zur Vorarlberger Landesausstellung 1991. Bregenz 1991. S. 90-113.


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