"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Dienstag, 1. Januar 2013

ANSICHTSSACHE NR. 7: Ausstellungen im Stift Altenburg (= Beitrag für die Ausstellungs-Blog-Parade des Historischen Museums Frankfurt)




Das neue Jahr beginnt (wohl typisch für historisch arbeitende Menschen...) mit einem Rückblick auf das alte! 
Am 10. Dezember 2012 rief Nina Gorgus auf dem Blog des Historischen Museums Frankfurt zur „Blogparade“ auf - mit dem Ziel, die spannendsten Ausstellungen des Jahres 2012 zu ermitteln (Aufruf).
Hier mein Beitrag dazu:

Ein Highlight des Jahres 2012 war für mich eine Ausstellung, in die ich zunächst eher zufällig und unfreiwillig hineingeraten bin, die mich dafür aber umso schneller das Staunen lehrte. Nämlich darüber, wie interessant kunsthistorische Ausstellungen über die präsentierten Kunstwerke hinaus sein können, wenn man sich nicht damit begnügt, „einfach nur“ Bilder zu zeigen. Die Ausstellung, die ich hier rühmen möchte, bot für mich völlig unerwartet sehr spannende und aufschlussreiche Einblicke in ein Themenfeld, das mich speziell interessiert: Historisches Alltagsleben.

Ein Ausflug brachte mich vergangenes Jahr in das niederösterreichische Altenburg – auf dem Programm standen ein Spaziergang und eine Stiftsbesichtigung. Es war ein Zufall, dass im Stift gerade eine Ausstellung mit dem Titel „Troger: blau ist keine Kunst“ zu besichtigen war, und meine Lust, mich so ausführlich mit Barockmalerei zu beschäftigen, hielt sich an diesem Nachmittag eigentlich eher in Grenzen. Umso größer war dann die Überraschung, als sich herausstellte, dass es sich dabei um eine vom Konzept her sehr ambitionierte Ausstellung handelte, die auf eine keineswegs übliche Weise Kunst und historischen Kontext miteinander in Bezug setzte und dabei verschiedenen Aspekten des Alltagslebens breiten Raum gewährte.

Am 20. Juli 2012 jährte sich der Todestag des Malers Paul Troger zum 250. mal – ein Anlass für das Benediktinerkloster Stift Altenburg, Werk und Leben des Barockmalers mit einer Ausstellung zu würdigen (Laufzeit: 1. Mai bis 28. Oktober 2012). Der Ausstellungsort lag insofern nahe, als der aus dem Südtiroler Pustertal gebürtige Maler im Stift Altenburg zehn Fresken und zahlreiche Ölbilder, darunter das Hochaltarbild der Stiftskirche geschaffen hat. 
Kuratiert wurde die Ausstellung von Andreas Gamerith. Der 1980 in Niederösterreich geborene Kunsthistoriker ist nicht nur aufgrund seiner Forschungsschwerpunkte ein Troger-Kenner, sondern auch infolge seiner Biografie, konnte er sich doch bereits als Kind und als Sängerknabe im Stift Altenburg mit den Bildern des berühmten Malers ebenso vertraut machen wie mit der klösterlichen Kultur. Dieses langjährige und intensive Eintauchen in die Welt des 18. Jahrhunderts war der Ausstellung anzumerken. Der Kurator verstand es dabei vortrefflich, seine Begeisterung und sein Wissen auch einem Nicht-Fachpublikum zu vermitteln - keine Spur von abgehobener Expertentümelei und keine Spur von oberflächlicher Volkstümelei!

Die Ausstellung machte nicht nur Leben und Werk Paul Trogers lebendig und nachvollziehbar, sondern bot auch höchst interessante Einblicke in den Alltag eines Malers zur damaligen Zeit (so wurden etwa Maltechniken und Farben – natürlich ging es auch um das im Ausstellungstitel genannte Blau – ebenso thematisiert wie wirtschaftliche Aspekte).
Außerdem wurden immer wieder größere sozial- und alltagshistorische Zusammenhänge hergestellt. So war zum Beispiel ein Kapitel dem Thema Wein gewidmet, da in der Entlohnung Trogers für seine Werke neben Geld auch Wein eine große Rolle spielte (bei seinem Tod beliefen sich seine Weinvorräte auf ca. 3.000 Liter). Dieses Faktum war Ausgangspunkt für einen Exkurs zur Bedeutung des Weins im 18. Jahrhundert, wo er nicht nur ein Genussmittel, sondern auch ein Ersatz für das oft minderwertige Trinkwasser war. Dem Geldwert der von Troger bezogenen Weindeputate wurden in der Ausstellung auf pointierte und anschauliche Weise (siehe die Fotos unten) die Einnahmen unterschiedlicher Berufsgruppen und die Höhen verschiedener Aufwendungen (von Gebrauchsgütern über die lebendige Einbringung von Räubern bis hin zu den Subsidienzahlungen Frankreichs an die habsburgischen Verbündeten) gegenüber gestellt.
  


Ein Kuchlmensch (= Küchengehilfin) 
mit  Angabe des Jahreseinkommens



Verschiedene "Ausgabenpakete" mit Wertangaben, 
vom Weihrauch bis zur Subsidienzahlung
 

Über diese Troger-Ausstellung hinaus war das Stift Altenburg ganz generell museologisch besonders interessant: Im Rahmen einer seit 2001 vorgenommenen Generalsanierung wurde die denkmalgeschützte historische Bausubstanz für einen zeitgemäßen Museumsbetrieb adaptiert (Architektur: Jabornegg & Pálffy), wobei unter anderem die archäologischen Ausgrabungen auf der Altane überdacht und zugänglich gemacht wurden. Dabei handelt es sich um ein sehr gelungenes Beispiel für das Zusammenspiel von baulichen Relikten und moderner Ausstellungsarchitektur, und zwar sowohl in ästhetischer Hinsicht als auch den Nutzwert betreffend. Es erfreut wirklich ungemein, an einem touristisch bedeutsamen Ort einmal nicht die so verbreitete plumpe und vermeintlich (oder tatsächlich?) vom breiten Publikum gewünschte Event- und Erlebnisarchitektur anzutreffen - dafür ist nicht nur den Architekten, sondern ganz besonders den Verantwortlichen im Stift Altenburg zu danken!

Links:
Liesbeth Waechter-Böhm über die Architektur von Jabornegg & Pálffy



Ausstellungsarchitektur von Jabornegg & Pálffy



2 Kommentare:

Nina hat gesagt…

Liebe Susanne, herzlichen Dank für Deinen Beitrag - schön, auf diese Weise mal wieder zu hören und zu lesen! herzliche grüße,
nina

Kirsten hat gesagt…

Sehr schöner Beitrag. Danke