"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Donnerstag, 10. Januar 2013

TERMINSACHE NR. 9: Die Sau im Kuchelbüchel


Dass es bei Ehescheidungen nicht unbedingt nobel zugeht, ist bekannt, und davon zeugen unter anderem Medienberichte und Gerichtsakten. 

Ein an der Universität Wien am Institut für Geschichte angesiedeltes und vom FWF – Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanziertes Forschungsprojekt zum Thema „Ehen vor Gericht. Konfliktfelder und Handlungsoptionen vom 16. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts“ untersucht solche Scheidungsverfahren und ermöglicht dadurch Einblicke in historische Beziehungs- und Trennungsszenarien. Alltagsgegenstände können dabei durchaus in den Mittelpunkt von Auseinandersetzungen rücken, wie folgender Fall zeigt:
In den allermeisten vor dem Magistrat der Stadt Wien durchgeführten Trennungsverfahren dienten amtliche Dokumente oder mündliche Aussagen von ZeugInnen als Beweise, die einen Scheidungsgrund untermauern sollten. Cäcilia Swoboda brachte 1816 – nach nur dreijähriger Ehe – in ihrer Scheidungsklage allerdings ein “Kuchelbüchel” von Oktober 1814 als Beweisstück ein. Sie warf ihrem Ehemann vor, dass er “in [das] kuchelbüchel, wenn irgendeine ausgabe für sie vorkam, für die sau, anstatt frau hinein[geschrieben]” habe. Ihr Ehemann Franz Mathias Swoboda widersprach dem Vorwurf nicht und äußerte sich in der Beantwortung der Klage folgendermaßen: Dieß aber sey wahr, daß er in sein eigenes kuchenbüchel statt für die frau, für die sau geschrieben habe. Allein dieß sey deßwegen geschehen, weil die betrefende ausgabe auf brandwein gemacht worden ist, daher habe er statt für die frau, „für die sau“ eingeschrieben. Der Wiener Stadtmagistrat gab der Scheidungsklage von Cäcilia Swoboda statt. Neben anderen rechtmäßigen Scheidungsgründen galt in den Augen des Magistrats die “Kränkung” der Ehefrau als bewiesen. Der Magistrat argumentierte damit konform zu den Bestimmungen des ABGB von 1811. Paragraf 109 des ABGB hielt “nach dem Verhältnisse der Person, sehr empfindliche, wiederhohlte Kränkungen” als einen rechtmäßigen Scheidungsgrund fest. (Quelle: Website des Projekts)

Das Projektteam stellt kommende Woche die bisherigen Forschungsergebnisse vor: 

Vortrag:
Andrea Griesebner, Georg Tschannett und Susanne Hehenberger: Ehen vor Gericht. Konfliktfelder und Handlungsoptionen vom 16. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts
Mittwoch, 16. Jänner 2013, 18.30 - 20.00 Uhr
Universität Wien - Institut für Geschichte, HS 45  
(im Rahmen der Reihe “Geschichte am Mittwoch/Geschichte im Dialog” des Instituts für Geschichte der Universität Wien / Jour fixe des Instituts für die Erforschung der Frühen Neuzeit)

Links:
Institut für Geschichte 
Ehen vor Gericht - Website des Forschungsprojekts 

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